Auf einem Friedhof im Frankenwald steht ein Gedenkstein mit einem Foto darauf. Die Mutter der Schülerin Peggy hat ihn errichten lassen - als Erinnerung an ihre Tochter, die vor zwölf Jahren nicht von der Schule nach Hause kam. Der Fall der kleinen Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg (Landkreis Hof) hat damals viele Menschen bewegt. Und tut es auch heute noch - denn Peggys Schicksal ist und bleibt rätselhaft. Eine große Suchaktion nach der Leiche des Kindes in dieser Woche brachte zunächst keinen Durchbruch.
Die Polizei tappte lange im Dunkeln
Direkt nach Peggys Verschwinden hatte die Polizei tagelang jedes Waldstück in der Umgebung Lichtenbergs durchkämmt. Sogar Tornados der Bundeswehr beteiligten sich an der Suche nach der Schülerin. Die Ermittler gerieten unter Druck: Wie kann es sein, dass ein Kind verschwindet und es keine Spur gibt? 2004 verurteilte die Justiz schließlich einen geistig behinderten Mann als Mörder Peggys.
In einer Sickergrube wurden Knochenteile gefunden
Anfang dieser Woche nun kam die Polizei wieder nach Lichtenberg und nahm ein rosafarbenes Haus am Marktplatz unter die Lupe. Peggy hatte einst nur etwa 250 Meter entfernt gelebt. Sollte man hier im Innenhof endlich ihre Leiche entdecken? Tatsächlich fanden die Ermittler in einer alten Sickergrube Knochenteile. Doch erst in der kommenden Woche wird klar sein, ob es sich überhaupt um menschliche Knochen handelt.
Sie könnten auch von einem Tier stammen. Oder aus einem Friedhof sein, den es früher hier neben der Kirche gegeben hat. Und selbst wenn es sich um sterbliche Überreste von Peggy handeln sollte, ist damit auch noch kein Mord bewiesen. Sie könnte ja beim Spielen hineingefallen sein, gibt der Bayreuther Oberstaatsanwalt Ernst Schmalz zu bedenken. Der Innenhof sei damals öffentlich zugänglich gewesen. Die Ermittler gehen gründlich zu Werke. Der Innenhof des Anwesens ist komplett umgegraben, die Kellerdecke ist geöffnet worden.
Viele halten den Verurteilten nicht für den Täter
Und auch wenn die jetzige Suchaktion vergeblich sein sollte - sie zeigt doch, dass Polizei und Justiz die Deckel der Aktenordner im Fall Peggy noch nicht zugeklappt haben. Es gibt nicht wenige Menschen, die den verurteilten Ulvi K. nicht für den Täter halten. Und die glauben, Beweise zu haben, die ihn entlasten. 2012 haben auch Staatsanwaltschaft und Kripo Bayreuth wieder mit Ermittlungen begonnen. Schmalz sagt, man habe die Ermittlungsvorgänge der früheren Jahre noch einmal unter die Lupe genommen. Schließlich könne es ja "unter Umständen" nötig sein, die damaligen Ermittlungsergebnisse "neu zu bedenken oder neu zu bewerten".
Der Fall Peggy
07. Mai 2001: Die neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg wird letztmalig auf dem Heimweg von der Schule gesehen. Ihre alleinerziehende Mutter gibt noch am Abend eine Vermisstenanzeige auf. Wochenlange Suchaktionen - unter anderem mit Tornados der Bundeswehr - bleiben ohne Erfolg.
August 2001: Der geistig behinderte Gastwirtssohn Ulvi K. wird festgenommen. Er gesteht, sich an Peggy und drei weiteren Kindern sexuell vergangen zu haben.
22. Oktober 2002: Die Ermittler präsentieren den 24-jährigen Gastwirtsohn als mutmaßlichen Mörder der spurlos verschwundenen Schülerin.
28. Februar 2003: Die Staatsanwaltschaft Hof erhebt Anklage wegen Mordes.
07. Oktober 2003: Vor dem Landgericht Hof beginnt der Prozess. Nach fünf Verhandlungstagen platzt er wegen einer fehlerhafter Besetzung der Strafkammer.
11. November 2003: Das Verfahren beginnt erneut.
30. April 2004: Nach 26 Verhandlungstagen wird Ulvi K. wegen Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt.
17. September 2010: Ein wichtiger Belastungszeuge hat seine Aussage widerrufen und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden.
19. Juli 2012: Die Staatsanwaltschaft Bayreuth kündigt eigene Prüfungen an.
04. April 2013: Der Anwalt Michael Euler beantragt beim Landgericht Bayreuth die Wiederaufnahme des Falls.
22. April 2013: Die Polizei sucht wieder nach Peggys Leiche. Hinweise führen die Ermittler zu einem Anwesen mitten in Lichtenberg. Knochen in einer Sickergrube stammen aber nicht von Peggy-
21. November 2013: Ein Mann aus Halle in Sachsen-Anhalt ist ins Visier der Ermittler gerückt. Er war ein enger Freund von Peggys Familie und gilt für die Staatsanwaltschaft mittlerweile als Tatverdächtiger. Sein Elternhaus wird durchsucht.
09. Dezember 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Ulvi K. an.
08. Januar 2014: Auf dem Friedhof Lichtenberg öffnen die Ermittler ein Grab - sie vermuten, dass im Zuge einer Beerdigung im Mai 2001 Peggys Leiche dort abgelegt worden sein könnte. Doch es gibt laut Staatsanwaltschaft keine Hinweise auf die sterblichen Überreste eines Kindes in dem Grab.
02. April 2014: Der im Fall Peggy zuständige Staatsanwalt wird auf eigenen Wunsch ausgewechselt. Er hatte einem neuen Verdächtigen bei einer Vernehmung den Anwalt verweigert.
10. April 2014: Prozessauftakt im Wiederaufnahmeverfahren gegen Ulvi K. vor dem Landgericht Bayreuth.
07. Mai 2014: Das Landgericht Bayreuth beendet die Beweisaufnahme aus Mangel an Beweisen nach nur sechs Verhandlungstagen vorzeitig.
14. Mai 2014: Ulvi K. wird freigesprochen.
Vor wenigen Wochen hat der Anwalt Michael Euler zudem beim Landgericht Bayreuth einen Wiederaufnahmeantrag eingereicht. Euler ist überzeugt davon, dass Ulvi K., der Gastwirtssohn aus Lichtenberg, Peggy nicht ermordet hat. "Wir können sagen: Ulvi war es nicht." Begründungen dafür hat er auf fast 2000 Seiten zusammengetragen. Die Ermittler hätten beispielsweise entlastende Zeugenaussagen ignoriert. Das Zeitfenster für die Tat sei viel zu klein gewesen. Ulvi hätte gar nicht alle Spuren beseitigen können. Ein Belastungszeuge habe seine Aussage zurückgezogen. Ulvi habe nur unter Druck gestanden und schließlich sein Geständnis widerrufen.
Die Mutter weiß bis heute nicht, was mit Peggy wirklich geschah
Oberstaatsanwalt Schmalz sagt: "Dieser Antrag ist eine ganz andere Sache." Es gehe dabei um die Frage nach der Täterschaft Ulvis. Der Mann sitzt wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Bayreuther Psychiatrie. Die Haftstrafe wegen Mordes hat er noch nicht angetreten. Staatsanwaltschaft und Polizei gehe es aber primär darum, Peggys Leiche zu finden, betont Schmalz. Vor allem für die Mutter sei diese Situation immer noch belastend: "Sie weiß bis heute nicht, was mit ihrer Tochter geschehen ist."