Kempten Es klingt wie in einem schlechten Film: Über mindestens vier Jahre hinweg soll ein 53-jähriger Kemptener Arzt hunderten Privat- und auch einigen Berufspiloten Gesundheitszeugnisse ausgestellt haben - ohne sie jemals untersucht zu haben. Die Staatsanwaltschaft hat nun in über 250 Fällen Anklage wegen "Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse" und gewerbsmäßigen Betrugs erhoben, so Leitender Oberstaatsanwalt Herbert Pollert.
Die Vorwürfe, Flugtauglichkeits-Bescheinigungen ohne entsprechende Untersuchungen ausgestellt zu haben, wurden erstmals Ende 2006 öffentlich (wir berichteten). Damals musste sich der Mediziner - zuletzt als Fliegerarzt für die britische Luftwaffe tätig und bei einem Abstecher nach Deutschland verhaftet - vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichtes Augsburg verantworten. Er war angeklagt, mit drei Mutter-Kind-Kurkliniken in Oberstaufen sowie im Schwarzwald Millionen Euro Schulden angehäuft zu haben. Als die finanzielle Schieflage der Kliniken immer dramatischer wurde, stellte der Arzt Insolvenzantrag. Am Ende des Prozesses dann das Urteil: drei Jahre Haft wegen betrügerischen Bankrottes. Der Mann kam in die Justizvollzugsanstalt nach Memmingen. Erst vor wenigen Tagen wurde er - unter Anrechnung der Untersuchungshaft - nach Verbüßen der Hälfte seiner Strafe wieder freigelassen.
Die nun erhobenen Vorwürfe fallen in die Jahre, als der Mediziner - geraume Zeit auch im Kemptener Stadtrat vertreten - eine Allgemeinarzt-Praxis betrieb. Als offen gemunkelt wurde, dass dort offenbar eine Sprechstundenhilfe die "Medicals" genannten Bescheinigungen an Piloten austeilte, ohne dass der Arzt überhaupt Untersuchungen vorgenommen hatte, begannen die Ermittlungen. Die Allgäuer Justiz arbeitete dabei eng mit dem Luftfahrtbundesamt zusammen. Dazu wurden unter anderem an die Piloten Fragebögen versandt, wie Dieter Thomalla von der Kemptener Kripo bestätigt.
Die meisten der ermittelten Piloten waren offenbar überzeugt gewesen, dass bei dem Arzt alles korrekt abläuft. Einigen dennoch Misstrauischen gaukelte die Arzthelferin vor, dass schon alles seine Richtigkeit habe. Nach Erkenntnissen der Kripo gab die Frau sich zum Teil bei entsprechenden Nachfragen als Ärztin aus. Einige Piloten waren sich nach Polizeiangaben aber sehr wohl gesundheitlicher Beeinträchtigungen bewusst und erschwindelten sich ihre Bescheinigung vorsätzlich. In "unter zehn Fällen", so Ermittler Thomalla, sei dann die Piloten-Lizenz eingezogen worden. Er sprach von "tickenden Zeitbomben über unseren Köpfen" - bei den Betroffenen hätten teilweise "erhebliche medizinische Beeinträchtigungen" vorgelegen. Daneben habe es einige "freiwillige Rückgaben" gegeben. Zwischenfälle mit den zum Teil absolut flugunfähigen Piloten gab es nach Angaben der Polizei zum Glück nicht.
Wann es zur Verhandlung gegen den betrügerischen Fliegerarzt kommen wird, steht noch nicht fest. Der Strafrahmen, auf den er sich einstellen muss, schon: von sechs Monaten bis zu zehn Jahre Haft.