Die Geschichte hätte fast etwas kurioses, wäre der Hintergrund nicht so ernst. Und würde es dabei nicht um die aufrichtigen Ängste und Sorgen so vieler Menschen gehen. Es beginnt am 19. September in Kempten. Das neue Schuljahr hat gerade angefangen. Ein Mann spricht in der Nähe einer Grundschule aus einem Auto heraus eine Gruppe Kinder an. Es gibt offenbar ein kurzes Gespräch, die Kinder bleiben stehen, der blaue Wagen fährt davon. Noch am gleichen Tag geht eine Meldung zu dem Vorgang bei der Polizei ein - inklusive Personenbeschreibung und dem KFZ-Kennzeichen des Fahrzeugs.
Anhand der detaillierten Informationen hat die Polizei leichte Arbeit. Sie ermittelt den Fahrer - und kann ziemlich schnell Entwarnung geben. Wie sich herausstellt, wollte der Mann seine Enkelin von der Schule abholen, verpasste diese wohl aber und erkundigte sich daher bei ihren Klassenkameraden.
Soweit, so gut. An dieser Stelle könnte die Geschichte unter dem Vermerk "Missverständnis aufgeklärt" eigentlich enden. Tut sie aber nicht. Denn zu diesem Zeitpunkt war das Gerücht vom mysteriösen Autofahrer bereits im Umlauf.
Ein Selbstläufer bei Facebook
"Im Internet wurde die Geschichte offenbar zum Selbstläufer", versucht es Polizeisprecher Alexander Resch vom Präsidium Schwaben Süd/West, heute, knapp einen Monat später, zu erklären. Vor allem bei Facebook verbreiten sich Warnungen von auffälligen Fahrzeugen und einem Mann, der Kinder ansprechen soll. "Bitte passt auf eure Kinder auf und informiert alle Mamas und Papas, die ihr kennt", heißt es in manchen Mitteilungen. Die Meldungen springen von der einen virtuellen Pinnwand zur nächsten - rasend schnell und über Stadt- und Landkreisgrenzen hinweg.
Wenige Tage nach dem besagten Vorfall gehen wieder besorgte Anrufe bei der Polizei ein. Zunächst im knapp 25 Kilometer entfernten Sonthofen, später erneut auch in Kempten. Und erneut geht es um ein verdächtiges Fahrzeug vor Schulen. Diesmal ist es allerdings ein weißer Kleintransporter.
Die Polizei nimmt ihre Ermittlungen auf und sucht das Gespräch mit Eltern und Schulen. "Das ist ein Thema, das wir sehr ernst nehmen", sagt Resch. Trotz umfangreicher Recherchen lässt sich Quelle des Gerüchts - also ein Kind oder ein Erwachsener, der die Szene erlebt oder beobachtet hat - nicht ermitteln. "Das meiste basierte auf Hörensagen", sagt Resch: "Wir haben absolut nichts gefunden, dass einen Verdacht erhärten könnte." .
Die Kettenreaktion unterbricht das nicht. Zuletzt kursieren mehrere Facebook-Meldungen auch bei Eltern in Kaufbeuren. In machen geht es um ein blaues Auto, in manchen um einen weißen Kleintransporter - immer aber um einen Mann, der vor Schulen Kinder angesprochen und sie aufgefordert haben soll, zu ihm ins Auto zu steigen.
Bei der Polizei ist man ob der Vorgänge gleichermaßen überrascht wie besorgt. "Dass eine Geschichte eine derartige Eigendynamik entwickelt, hat es bislang noch nicht gegeben", sagt Resch.