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Täglich Kontakt zu Mohnhaupt und der RAF: Er lebte Tür an Tür mit Mörderinnen

Täglich Kontakt zu Mohnhaupt und der RAF

Er lebte Tür an Tür mit Mörderinnen

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    Wolfgang Deuschl leitete 30 Jahre das Frauengefängnis von Aichach.
    Wolfgang Deuschl leitete 30 Jahre das Frauengefängnis von Aichach.

    Von Holger Sabinsky Aichach - RAF-Terroristin Brigitte Monhaupt kennt er gut. Allerdings nicht als Freund, sondern als Chef des Aichacher-Frauengefängnisses. Wolfgang Deuschl geht jetzt in Ruhestand. Doch vorher erzählte er unserem Redakteur von Hungerstreiks, Befreiungsaktionen und einem Terroristen, der mit ihm die Schulbank drückte.

    Sogar sein Haus ist ein Gefängnis. Gitter vor den Fenstern, schusssicheres Glas und eine Eingangstür, die mittels eines gigantischen Doppelbart-Schlüssels geöffnet werden muss. Seit 28 Jahren lebt Wolfgang Deuschl in diesem Haus. Seine Arbeitsstelle war nur wenige Schritte entfernt. 30 Jahre lang leitete Deuschl, 65, das Frauengefängnis von Aichach. Vergangene Woche ging er in Ruhestand.

    Die Sicherheitsvorkehrungen am Wohnhaus sind ein Andenken an seine berühmteste Gefangene: 24 Jahre saß die frühere RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt in Aichach ein. In den 70er und 80er Jahren verbüßten daneben eine ganze Reihe von Links-Terroristinnen und Helferinnen in Aichach Haftstrafen. Turbulente Zeiten selbst für den stets ruhig wirkenden Deuschl.

    Demonstranten zogen auf, Gefangene traten in Hungerstreik, Befreiungsaktionen drohten. Als bei einer Terror-Razzia Skizzen des Aichacher Gefängnisses auftauchten, wurde Deuschl für Monate unter Polizeischutz gestellt. Das Wohnhaus wurde zur Festung.

    "Wir waren für die die Vertreter des Schweinesystems", erinnert sich der 65-Jährige. Doch im Laufe der Jahre hat sich das Verhältnis zu den meisten Gefangenen gewandelt. Deuschl spricht von einer Vertrauensbasis. Und wenn er sagt, "Frau Mohnhaupt hat als Erwachsene nie ein normales Leben geführt, sondern war nur im Untergrund und im Gefängnis", kann er nicht verbergen, dass er gelernt hat, die einst gefährlichste Frau Deutschlands als Mensch zu respektieren.

    Als Mohnhaupt im März vergangenen Jahres vorzeitig aus Aichach entlassen wurde, sorgte Deuschl dafür, dass sie unerkannt in Freiheit kam. Schon die Jahre zuvor führte er sie an das Leben außerhalb der Gefängnismauern heran. Als Mohnhaupts Mutter im Sterben lag, durfte sie sie in Karlsruhe besuchen. Sie konnte in München U-Bahn fahren, Ausflüge in die Berge machen und in Aichach zum Arzt gehen.

    Eine Gefängnis-Mitarbeiterin hat noch heute regelmäßig Kontakt zur Ex-Terroristin. "Auf das, was sie sagte, konnte man sich verlassen", sagt der Mann, der so viel Zeit mit der Ex-Terroristin verbrachte. Deuschl verteidigte auch ihre vorzeitige Entlassung: "Sie wird nie wieder töten", ist er sich sicher.

    Doch nicht nur sein Berufsleben war von den Terroristen geprägt. Deuschl verrät gegenüber unserer Zeitung ein Geheimnis aus seiner Kindheit: "Ich war in der Grundschule vier Jahre lang mit Andreas Baader in einer Klasse. Es war in der Wilhelm-Schule in Schwabing." Baader wurde führender Kopf der ersten Terror-Generation, Deuschl Jurist und Knastchef. Er führte lange ein Leben im Schatten der RAF.

    Doch der humorvolle Ex-Gefängnischef kann auch Geschichten von anderen prominenten Insassinnen erzählen: Die Lebedame Vera Brühne, die 18 Jahre in Aichach saß, wollte eine Zelle für sich, häkelte, strickte und malte. Für gewöhnliche Arbeiten im Knast hatte die "Grande Dame" wenig übrig. Brühne soll mit einem Bekannten den Pöckinger Arzt Dr. Otto Praun und dessen Haushälterin ermordet haben. Sie wurde 1962 in einem spektakulären Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt, 1979 aber von Franz Josef Strauß begnadigt.

    Außerdem jahrelang unter Deuschls Fittiche: Schauspielerin Ingrid van Bergen, die ihren Lebensgefährten im Affekt mit einer Maschinenpistole erschoss. Und die DDR-Spionin Gabriele Gast, die von der Stasi angeheuert worden war und es beim westdeutschen Bundesnachrichtendienst bis zur Regierungsdirektorin brachte. "Das waren alles sehr interessante Persönlichkeiten", erzählt Deuschl.

    Der Rekord-Knastchef hat die JVA Aichach zu einem modernen Frauengefängnis gemacht. War es in den 60er Jahren Bediensteten noch verboten, mit Häftlingen zu reden, suchte Deuschl Kontakt zu seinen Gefangenen. Er wollte wissen, wie sie ticken. Das Ziel: "Sie sollten nach der Entlassung keine Straftaten mehr begehen." Für diesen Zweck gründete Deuschl Theater-, Schreib-, Joga-, Musik- und andere Freizeitgruppen. Auch eine Mutter-Kind-Abteilung rief er ins Leben.

    "Ein Frauengefängnis zu führen ist nicht einfacher als ein Männergefängnis. Nur anders", sagt Deuschl. Frauen seien stärkere Individualisten. Sie pflegten aber mehr Eifersucht und Rivalität: "Die beschweren sich schon mal, wenn man mit einer zehn Minuten länger redet."

    Dass sich die Zahl der inhaftierten Frauen in Aichach von 1992 bis heute auf 530 mehr als verdoppelt hat, führt Deuschl auf die Öffnung der Grenzen zu Osteuropa zurück. Und er hat festgestellt, dass es wieder mehr Mörderinnen gibt. Zu Beginn seiner Amtszeit waren es schon einmal viele Lebenslängliche. Etliche davon hatten ihre Ehemänner oder Partner getötet - ein gesellschaftliches Problem damals, meint Deuschl. Dann ließ es nach. Heute sind es wieder mehr. 14 Frauen sitzen derzeit lebenslang in Aichach.

    Lebenslang wird wohl auch Wolfgang Deuschl mit dem Herzen Gefängnischef sein. Doch seine neu gewonnene Freiheit will er jetzt nutzen: zum Jazz hören, Tennis spielen mit seiner Tochter, Reisen mit dem Wohnmobil. Im Sommer zieht er aus dem Haus im Schatten des Gefängnisses aus. Dann gibt er den Doppelbart-Schlüssel für immer ab.

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