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Vergewaltige Therapeutin schreibt Buch: Ein neues Leben

Vergewaltige Therapeutin schreibt Buch

Ein neues Leben

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    Susanne Preusker wurde von einem Häftling als Geisel genommen.
    Susanne Preusker wurde von einem Häftling als Geisel genommen. Foto: Preusker

    Es waren sieben Stunden im April 2009, in denen Susanne Preusker ihr altes Leben verlor. An ihrem Arbeitsplatz, dem Gefängnis in Straubing, wird die Psychologin von einem inhaftierten Mörder und Sexualstraftäter als Geisel genommen, mit dem Tode bedroht und mehrfach vergewaltigt. Schwer traumatisiert versucht die 51-Jährige bis heute, wieder ins Leben zu finden. Ihr schonungsloses Buch „Sieben Stunden im April“ ist seit gestern im Handel.

    Frau Preusker, wie hat sich Ihr Leben verändert?

    Preusker: Mein altes Leben wurde mir genommen. Früher war ich als Leiterin der sozialtherapeutischen Abteilung im Straubinger Gefängnis die zupackende Führungskraft. Nach der Tat verfolgten mich Panikattacken, Todesangst, Depressionen. Ich musste meinen Beruf aufgeben, ich wechselte meinen Wohnort, ich konnte meine Wohnung nicht mehr verlassen, ich konnte nicht mehr einkaufen gehen. Ich habe so viel verloren.

    Haben Sie an Selbstmord gedacht?

    Preusker: Anfangs ja. Aber nun schon lange nicht mehr. Mir ist erst später aufgefallen, dass mein Mann und mein Sohn mich zum Beispiel nie allein auf den Balkon ließen.

    Wie geht es Ihnen heute?

    Preusker: An manchen Tagen habe ich immer noch mächtig Schlagseite. Verglichen mit meinem Zustand vor einem Jahr geht es mir jetzt besser. Ich kann jetzt in den Supermarkt gehen – wenn ich weiß, wo der Notausgang ist.

    Trotz Ihres Zustandes haben Sie zehn Tage nach der Tat geheiratet...

    Preusker: Unsere Hochzeit war lange geplant. Als ich meinen Mann das erste Mal nach der Tat wieder sah, fühlte ich mich beschmutzt. Ich sagte zu ihm: Jetzt kannst du mich nicht mehr heiraten. Er sagte: Und jetzt erst recht.

    Wie wichtig war Ihnen das?

    Preusker: Es war das Zeichen maximaler Liebe. Es hätte schiefgehen können. Aber das Gegenteil hätte ich als zusätzliche Zurückweisung empfunden.

    Sie schreiben, der Täter habe Ihre Vergewaltigung geplant. Warum?

    Preusker: Da gibt es viele Hinweise. Er hatte sich ein Messer besorgt, er hatte im Versandhandel Sekundenkleber gekauft und drohte, mir den Mund damit zuzukleben. Er hatte sogar einen Müsliriegel dabei, um sich zu stärken. Außerdem hat ein „anständiger“ Geiselnehmer konkrete Forderungen – hatte er nicht. Und er hat zu dem Zeitpunkt aufgegeben, als er alles mit mir gemacht hatte, was er wollte.

    Sie haben den Täter selbst vier Jahre lang therapiert. Hielten Sie die Behandlung für erfolgreich?

    Preusker: Ich wusste, dass er massiv gestört ist, aber es gab kleine Veränderungen. Ich hatte bis dahin ein gutes Verhältnis zu ihm. Ich weiß nicht, was passiert ist, dass ich zum Jagdobjekt wurde.

    Haben Sie sich Vorwürfe gemacht?

    Preusker: Ja, es gab den Selbstvorwurf: Ich habe als Psychologin versagt. Mittlerweile bin ich sicher, dass ich alles getan habe, was nach den Regeln der Sozialtherapie zu tun war. Aber natürlich habe ich etwas übersehen. Übrigens war dieser Täter keineswegs der problematischste, den wir in Straubing hatten.

    Warum wollten Sie überhaupt im Gefängnis arbeiten?

    Preusker: Es gibt viele spannende Geschichten und Menschen. Es ist wie Tatort gucken, und man kriegt es auch noch bezahlt.

    Derzeit wird viel über die Sicherungsverwahrung und die Therapierbarkeit von Sexualstraftätern diskutiert. Sie sind Expertin und Opfer. Hat die Vergewaltigung Ihre Sicht auf die Therapie von Sexualtätern stark verändert?

    Preusker: Nein, fast nicht. Es gibt nicht den Sexualstraftäter. Es gibt Menschen, bei denen kann man therapeutisch etwas machen. Aber ich wusste immer, dass es auch welche gibt, die man nicht rauslassen sollte.

    Haben Sie Rachegefühle?

    Preusker: Ja, als Privatperson wünsche ich ihm die Pest an den Hals.

    Sind Sie in der Lage, die Schreckensstunden ein wenig zu schildern?

    Preusker: Es war der 7. April 2009. Ein normaler Tag. Gegen 17 Uhr stand Roland K. in meiner Bürotür. Er wollte nicht gehen. Als ich auf ihn zutrat, versperrte er mir den Weg. Da wusste ich, irgendwas läuft falsch. Er bedrohte mich mit einem Messer. Ich sollte die Schlüssel rausgeben. Ich wusste, wenn ich das tue, ist es vorbei. Ich kämpfte, ich habe für meine Verhältnisse unheimlich viel Kraft und Mut aufgebracht. Aber ich war ihm unterlegen. Dann verrammelte er die Tür mit Bücherregalen. Er fesselte und knebelte mich. Ich hatte Todesangst. Ich wusste, sein letztes Opfer war an einer Knebelung erstickt. Dann vergewaltigte er mich mehrfach.

    Es gibt diesen schockierenden Text im Buch, den Sie wenige Tage nach der Tat quasi als Gedächtnisstütze geschrieben haben. Dort schildern Sie detailliert das Geschehen. Sie schreiben, „kein Mann sollte das je lesen müssen, keiner Frau sollte das jemals passieren“. Warum machen Sie den Text so vielen Menschen zugänglich?

    Preusker: Die Entscheidung, diesen Text reinzunehmen, hat sich entwickelt. Anfangs habe ich unter Scham gelitten. Wenn ich etwas erzählt habe, ließ ich 80 Prozent weg. Dann habe ich empfunden: Ich muss mich für nichts schämen, ich habe nichts getan. Und dann war ich so weit, den Text ins Buch zu nehmen. Er gehört dazu. Zwischen Täter und Opfer gibt es keine Privatheit.

    Sie haben nach der Tat schwere Vorwürfe gegen Polizei und Gefängnis-Mitarbeiter erhoben und leitende Einsatzkräfte angezeigt. Weshalb?

    Preusker: Es kann nicht sein, dass keiner wusste, was da passiert ist. Ein verurteilter Mörder und Vergewaltiger sperrt sich mit einer Frau ein. Der Schluss, was er vorhat, liegt nicht allzu fern, finde ich. Dennoch wurden über sieben Stunden keine Kameras eingesetzt. Als ich rauskam, waren alle überrascht. Das werde ich nie vergessen. Gerne hätte ich einmal gehört: Da wurden Fehler gemacht. Habe ich aber nicht. Diese Selbstgefälligkeit bringt mich auf die Palme.

    Warum suchen Sie mit dem Buch die Öffentlichkeit?

    Preusker: Erst habe ich das Buch nur für mich geschrieben. Ich dachte, ich könnte das Geschehene in eine Kiste packen und wegsperren. Das hat nicht geklappt. Dann dachte ich, die Geschichte könnte vielleicht anderen Opfern Mut machen. Außerdem wollte ich schon immer ein Buch schreiben.

    Werden Sie je wieder als Psychotherapeutin arbeiten?

    Preusker: Ich weiß es nicht. Sicher nicht mit Gefangenen. Ich habe immer noch ein Problem mit geschlossenen Räumen. Im Moment sind meine Tage mit den Büchern gut ausgefüllt.

    Es gibt mehrere Bücher?

    Preusker: Ja. Das zweite ist schon fertig. Es handelt von meinem Kampfhund. Und jetzt arbeite ich an meinem ersten Krimi.

    Der aber nicht etwa im Gefängnis spielt?

    Preusker: Na was denken Sie denn?

    Das Buch: Susanne Preusker: „Sieben Stunden im April. Meine Geschichte vom Überleben“, Patmos Verlag, 160 Seiten, 17,90 Euro.

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