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Landwirtschaft: Ein Bauer verkauft "Blutmilch"

Landwirtschaft

Ein Bauer verkauft "Blutmilch"

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    Romuald Schaber ist Vorsitzender des Bundes Deutscher Milchviehhalter und jetzt auch Buchautor.
    Romuald Schaber ist Vorsitzender des Bundes Deutscher Milchviehhalter und jetzt auch Buchautor. Foto: dpa

    Wie man Aufsehen erregt, weiß Bauernführer Romuald Schaber. Wenn seine Mitstreiter Mist vor die Lackschuhe von Politikern kippten, Milch in Güllefässern auf die Felder versprühten oder bei einem Agrargipfel eine Beton-Barrikade mit dem 300-PS-Schlepper wegschoben, sodass Sirenen heulten und die Polizei mit Tränengas gegen die Bauern vorging, kamen sie ins Fernsehen und in die Schlagzeilen.

    "Randale ist ein Thema, die Not der Bauern nicht", hat der stets ruhig und besonnen wirkende Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) daraus gelernt. Um öffentlich wahrgenommen zu werden, muss man dick auftragen - und sei es mit einem haarsträubenden Buchtitel: "Blutmilch" heißt Romuald Schabers Werk, das am Montag in den Buchhandel kommt.

    Suizide aus Verzweiflung über den wirtschaftlichen Ruin

    Der Titel nimmt Bezug auf eine Milch, die "Blutzoll" fordert - so steht es pathetisch im zweiten Kapitel. "Bis der Bauer tot im Stall hängt. Weil er nicht mehr aus noch ein gewusst hat …", weil er den Rat befolgte, einen neuen Stall zu bauen und Risikokapital aufzunehmen, das er wegen des gesunkenen Milchpreises nicht zurückzahlen konnte.

    "Suizid ist ein großes Thema bei uns", zitiert der 53-jährige Allgäuer einen Psychologen der Uni Duisburg-Essen, und er nennt Beispiele von Selbsttötungen verzweifelter Landwirte in Schleswig-Holstein, der Oberpfalz, den USA und Indien.

    Eine amtliche Statistik, die eine erhöhte Selbstmordrate von Landwirten in Deutschland belegen würde, gibt es nicht, wohl aber Erfahrungsberichte etwa der bäuerlichen Familienberatung in der Diözese Augsburg, wonach psychische Erkrankungen in der Landwirtschaft erheblich zugenommen haben.

    "Blutmilch" ist der reißerische Aufhänger zur Darstellung eines bedenkenswerten agrarpolitischen Konzepts, das die bisherigen Verhältnisse auf den Kopf stellen würde: keine Agrarsubventionen mehr, kein "Schweigegeld" für die Bauern, so Schaber, "weil die eigentlichen Profiteure Handel und Milchindustrie sind". Stattdessen eine Mengenregulierung nach kanadischem Vorbild, die den Bauern kostendeckende Mindestpreise und ansonsten einen freien Markt garantieren soll, auf dem sie gleichberechtigte Partner sind.

    Das Buch ist eine Mischung aus agrarpolitischer Betrachtung, Entwurf einer Neukonzeption, Chronik der BDM-Geschichte, Autobiografie, Zukunftsvision und Kampfschrift. Die Feindbilder sind dabei klar: Agrarindustrie und Großmolkereien, Agrarfonds und der Bauernverband, der diesen nach Überzeugung des Autors zuarbeitet.

    Es liest sich wie eine Verschwörungstheorie, wenn Schaber aufzählt, worauf es internationale Konzerne absehen, wenn sie die Bauern in den Bankrott treiben: auf ihr Land, ihren Rohstoff, die Saat, das Wasser. Die Agrarpolitik wirtschafte ihnen in die Hände. "Der BDM ist nicht für Planwirtschaft", schreibt Schaber. "Wir durchkreuzen im Gegenteil den Plan derer, die Markt sagen und Monopol meinen."

    Schaber, der selbst Ortsobmann des Bauernverbandes war, blendet zurück in das Jahr 1997, als das tiefe Zerwürfnis zwischen ihm und dem Bauernverbandspräsidenten Gerd Sonnleitner seinen Anfang nahm. Es war ein gemeinsamer Abend mit Milchbauern aus Schleswig-Holstein in Markt Rettenbach im Unterallgäu. Es ging um die Düngeverordnung und um "weltferne" Regeln von Agrarbürokraten, die damals vom Bauernverband unterstützt worden seien. In der Diskussion habe Sonnleitner "losgebrüllt", schreibt Schaber, der Abend habe in einer Katastrophe geendet. "Alle, die dabei waren, wussten mit einem Mal: Die vom Bauernverband arbeiten gar nicht für uns. Die sind Teil des Systems …" Es war der Anfang des BDM, der heute rund 30 000 der insgesamt 90 000 Milchbauern in Deutschland vertritt.

    So wie Schaber spricht, nämlich druckreif und selbstsicher, so schreibt er auch: gerade heraus, undiplomatisch, mitunter polemisch. Einen Ghostwriter gebe es nicht, versichert der Bergbauer, dessen früheste Erinnerung ein kleines Gatter im Stall ist - eine Art Kinderlaufstall, in dem er und seine fünf Geschwister die Welt erkundeten. Die Eltern sprachen beim Melken mit ihnen und sagten ihnen die Namen der Kühe vor, so wie er es später bei seinem fünf Kindern tat. Es sei ihm nicht in die Wiege gelegt gewesen, schreibt Schaber nicht ganz frei von Selbstgefälligkeit, "mit Bundeskanzlerinnen und EU-Kommissaren, mit Parteivorsitzenden und Wirtschaftsführern, mit Verbandspräsidenten aus Kanada, Frankreich, Spanien oder Norwegen" verhandeln zu müssen.

    Exporte in Entwicklungsländer und die Wachstums-Ideologie

    Er schildert, wie er sich Respekt verschafft habe, wenn ihm EU-Spitzenbeamte "dumm kamen", und er nimmt sich die politischen Parteien in Deutschland vor, die alle - bis auf die Grünen - schlecht wegkommen. Er erörtert die zerstörerische Wirkung der subventionierten Exporte europäischer Milchüberschüsse in Entwicklungsländer, philosophiert über den Unsinn der vorherrschenden Wachstumsideologie und gibt den Wortlaut der Rede des alternativen Nobelpreisträgers José Lutzenberger im Jahr 1993 wider. Thema: "Die Abschaffung der Bauern - ein globaler Selbstmord".

    Viel Stoff, an dem sich Schabers Gegner reiben können, viel Seelenbalsam für seine Anhänger. Allen anderen gibt das Buch die Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen von einem "Revoluzzer", der trotzig verspricht: "Mir lond it luck" - wir lassen nicht locker. Von Manuela Mayr

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