Dem Oberlandesgericht München bleibt nur noch wenig Zeit, um die Vorgaben aus Karlsruhe für den am Mittwoch beginnenden NSU-Prozess umzusetzen. Auch am Sonntag blieb zunächst unklar, wie das Gericht Sitzplätze für türkische Medien schaffen will. Der Mordprozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) soll an diesem Mittwoch beginnen - eineinhalb Jahre nach dem Auffliegen der Neonazi-Terrorzelle.
Das OLG hatte die 50 festen Presseplätze nach dem Eingang der Gesuche vergeben - dabei gingen türkische Medien leer aus. Das Bundesverfassungsgericht gab am Freitag einer Beschwerde der türkischen Zeitung "Sabah" statt. Dabei spielte eine wichtige Rolle, dass acht der zehn Mordopfer türkischer Herkunft waren. "Wir hoffen, dass diese Entscheidung nicht dazu führt, dass der Prozessbeginn verschoben werden muss", sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, der "Rheinischen Post" (Samstag).
Zschäpe-Verteidiger werfen Gericht "offene Diskriminierung" vor
Das ist Beate Zschäpe
Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.
Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.
Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.
Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.
Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.
Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.
Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.
Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.
Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.
Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl gerät derweil weiter unter Druck. Die Verteidiger der Hauptangeklagten Zschäpe werfen ihm "offene Diskriminierung" vor, wie der "Focus" berichtete. Hintergrund sei die Anordnung, dass die Anwälte vor jedem Prozesstag durchsucht werden sollen, "um das Einschmuggeln von gefährlichen Gegenständen" wie Waffen oder Sprengstoff zu verhindern.
Tausende Demonstranten erinnerten am Samstag in München an die Opfer der Terrorzelle NSU und forderten einen konsequenten Kampf gegen Rechtsextremismus. Die Polizei zählte 5500 Teilnehmer. Die Veranstalter - ein Bündnis linker Gruppen - sprachen von 10 000 Menschen und der "größten antirassistischen Demonstration in München" seit 20 Jahren. Auf Transparenten waren Fotos der NSU-Mordopfer zu sehen, ebenso die Namen anderer Todesopfer von Neonazis.
Beschluss aus Karlsruhe stößt auf breite Zustimmung
Die Angeklagten im NSU-Prozess
Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:
Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).
Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.
Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.
Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.
Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.
Die Bundesregierung und Politiker aller Parteien begrüßten den Karlsruher Beschluss. Lob kam auch von der Türkei. "Wir sehen darin einen Schritt in die richtige Richtung", verlautete aus dem Außenministerium in Ankara, wie türkische Medien berichteten.
Der Obmann der Unionsfraktion im NSU-Untersuchungsausschuss, Clemens Binninger, plädierte erneut dafür, die Verhandlung für akkreditierte Journalisten in einen anderen Saal des Gerichts zu übertragen. Der Journalistenverband dju forderte ein ganz neues Akkreditierungsverfahren. Die Karlsruher Entscheidung ändere nichts daran, dass es insgesamt zu wenig Presseplätze gebe.
Ermittlungen ausgeweitet
Die Bundesanwaltschaft hat ihre Ermittlungen gegen den NSU noch einmal ausgeweitet. Fahnder durchsuchten erneut die Wohnung von Susann E., einer einstmals engen Vertrauten Zschäpes, wie das Magazin "Spiegel" berichtet. Die 31-Jährige, gegen die bislang wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wurde, stehe nun auch im Verdacht, Zschäpe im November 2011 bei der Flucht geholfen zu haben. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigte am Sonntag lediglich, dass die Ermittlungen gegen eine beschuldigte Person um den Vorwurf der Strafvereitelung erweitert worden sei.
Münchner Polizei: Kein erhöhtes Sicherheitsrisiko
Die Münchner Polizei sieht kein erhöhtes Sicherheitsrisiko zum Auftakt des Prozesses. "Hinsichtlich einer konkreten Gefährdungslage rund um den Prozess liegen derzeit keine Erkenntnisse vor, insbesondere auch nicht aus dem extremistischen Bereich", sagte Polizeivizepräsident Robert Kopp. "Wir gehen aber von einer hohen abstrakten Gefährdung aus." Etwa 500 Beamte sollen die Sicherheit der Prozessbeteiligten gewährleisten.
Bayerns früherer Innenminister und Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) sagte der "Welt" (Montag): "Frau Zschäpe sollte ihr Schweigen endlich brechen. Sie könnte dadurch zur Aufklärung der scheußlichen Untaten beitragen." dpa