Es gibt Momente, die sind magisch. So wie dieser. Gemächlich senkt sich der Arm des Schallplattenrekorders auf eine jungfräuliche, silbrig glänzende und mit Lack überzogene Metallscheibe. Gleich wird er spiralenförmig eine Rille hineinritzen. Mithilfe eines Mikroskops lässt sich präzise verfolgen, wie die Nadel leicht nach links und rechts ausschlägt. Nach einigen Minuten ist eine neue Schallplatte geboren.
Andreas Bauer hält sie in die Höhe und lächelt angesichts der staunenden Besucher. Sie schauen drein, als wäre ein Wunder geschehen. Irgendwie ist es das auch. Wie Musik aufgenommen wird, über Schallwandler in die Schallplatte geritzt und von dort über Lautsprecher zu Soul und wieder als Funk & Soul zurückgeschmettert wird – das ist auch im Zeitalter von Bits und Bytes großartig. Schon als Bub hat man in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts fasziniert vor der Musiktruhe der Eltern gestanden und gestaunt, dass Grimms Märchen zu hören waren, wenn die Nadel des Tonarms durch die Rille glitt.
Bauer, der 42-jährige gebürtige Passauer, betreibt in Tiefenbach bei Landshut die wahrscheinlich letzte Schallplattenmanufaktur in Bayern. „Wär’ schön, wenn es noch möglichst lange Vinylscheiben geben würde“, sagt er. Die Chancen stehen gut. Es gibt auch heutzutage noch viele Menschen, die seine Meinung teilen. Schallplatten fristen zwar im CD- beziehungsweise MP3-Zeitalter ein Nischendasein. Jedoch ein hoch geachtetes. Wer etwas auf Musik hält, kommt von den Schallplatten nicht los. Allein in Deutschland werden jährlich noch über 1,5 Millionen LPs und Singles verkauft. Tendenz steigend.
Kreatives Chaos in einer kleinen Welt
In Bauers kleiner Vinylwelt in der Provinz herrscht das, was Außenstehende als kreatives Chaos bezeichnen würden. Hier überquellendes Verpackungsmaterial, dort ein Tisch, auf dem Bauers Freundin Kiki die pressfrischen Platten eintütet. Mittendrin im Raum ein riesiger Sack mit Kunststoffgranulat, dazwischen eine grüne markante Maschine mit jeder Menge Hebel und Knöpfen. Es ist die betagte Schallplattenpresse „Toolex Alpha“.
„Ein schwedisches Modell“, erzählt Bauer, das Baujahr weiß er nicht mehr. Er tippt auf „Anfang der 80er Jahre“. Mit der Maschine produziert er im Jahr rund 100000 Singles. Seine Kunden, die ihre Aufnahmen in der Regel als Computerdatei schicken, kommen aus der ganzen Welt. Allerdings nicht aus der Welt der Charts. Meist erhält er Kleinaufträge von Plattenliebhabern oder Bands, zwischen 100 und 1000 Stück. Größere Mengen will er sich nicht antun.
Der Plattenmacher hat Radio- und Fernsehtechniker gelernt, aber schon früh erkannt, dass ihn Schallplatten mehr faszinieren. Mit 27 zog er nach München und machte sich selbstständig. „Es war schon immer mein Traum“, sagt er. Zunächst übernahm er nur die Produktion von Master-Schallplatten, also die Vorlage für die Presse, und schlug sich so durchs Leben. Der Rest ist – sagen wir – Schicksal.
Seit zwei Jahren produziert Bauer in Tiefenbach
Ein Schallplattenhersteller, mit dem er kooperierte, machte pleite. Bauer kaufte sich zusammen mit einem Freund die Maschinen. Er veräußerte den Großteil weiter und behielt nur so viel, wie er für eine Manufaktur benötigte. Das Projekt mit dem Partner scheiterte, der Niederbayer zahlte ihn aus – und machte weiter.
Seit zwei Jahren produziert er nun in Tiefenbach. „Beste Gegend“, sagt er. Im Gegenteil zu München. Das sei heute eine Bankenstadt, einen wie ihn würde sie in den Ruin treiben. Die Grundstücke zu teuer, die Nachbarn zu empfindlich.
In der Tat ist es ganz hilfreich, dass genügend Platz um das Wohnhaus mit angebauten Geschäftsräumen ist. Vor dem Eingang dampft eine Kühlmaschine, drinnen ächzt und stöhnt die betagte Plattenpresse. „Das ist der Andy Bee Businesspark“, zieht Bauer einen befreundeten Ingenieur auf, der als Untermieter bei ihm arbeitet und gerade zur Tür hereinschaut. Andy Bee, weil Bauer sich so in seiner Zeit als Discjockey nannte. Jetzt grinst er.
Bauer ist kein typischer Geschäftsmann. In Jeans, verwaschenem T-Shirt und mit einem Baseball-Käppi auf dem kahlen Haupt steht er vor der Pressmaschine und erzählt sein Leben. Er sagt, ihm gehe es nicht allein ums Geld. Im Gegenteil: Er ist der Gegenentwurf zur heutigen Hochfinanzwelt. Bauer produziert Platten, weil es ihm Spaß macht. Was er dabei verdient, ist zweitrangig. Und weil es keine Serviceleute mehr gibt, repariert er auch die Maschinen selbst. Ein zweites altes Modell steht noch im Raum. Damit will er irgendwann einmal Langspielplatten produzieren. „Wenn ich Zeit habe, bau’ ich die Maschine zusammen“, sagt er.
Vor 125 Jahren wurde die erste Schallplatte erfunden
Das gute Stück schaut aus, als habe es schon die Geburt der ersten Scheiben miterlebt – was allerdings nicht stimmt. Denn die wurden bereits vor 125 Jahren hergestellt. Wer der Erfinder der ersten Schallplatte war, darum tobt noch heute ein Streit. War es der Amerikaner Thomas Edison oder Emil Berliner, Spross einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Hannover? Die Mehrzahl der Experten schreibt Letzterem die Erfindung zu. Die älteste noch existierende seiner Platten stammt vom 25. Oktober 1887. Ein knappes halbes Jahr zuvor hatte der deutsche Tüftler seinen Tonträger zum Patent angemeldet, Ende September dann auch sein Grammofon.
Der Schöpfer dieser kleinen Revolution ist längst in Vergessenheit geraten. Auch Bauer kennt den Mann nicht, dessen Erfindung ihn heute gewissermaßen ernährt. Für die Produktion der Vinylscheiben, die erst vor knapp 65 Jahren die Schellack-Platten ablösten, ist er jedoch Experte.
Bauer führt vor, wie das funktioniert. Er nimmt eine Hand voll PVC-Granulat und füllt es über einen Trichter in die Maschine. Dort wird es auf etwa 180 Grad erhitzt. Es riecht nach Lack und Plastik. Die Plattenpresse dampft und quietscht. Am Ende wird eine schwarze Kunststoffscheibe in die silbrige Vorlage gepresst. Fertig ist die Kopie. Eine einzige Platte kostet etwa 250 Euro. Für 100 Stück mit weißem Etikett verlangt Bauer nur 70 Euro mehr. „Reich werde ich davon nicht“, sagt der Unternehmer. „Aber mein Steuerberater ist mit mir zufrieden.“
Dabei schwimmt der Plattenmacher auf einer richtiggehenden Modewelle mit. Große Künstler, die etwas auf sich halten, bringen ihre neuen Alben auch auf Platte heraus. In den großen Musikläden gibt es wieder eigene Plattenregale. Echte Plattenläden, wie sie der britische Kultautor Nick Hornby in seinem Buch „High Fidelity“ beschreibt, sind allerdings immer noch rar.
Fachleute haben herausgefunden, dass es „einen zunehmenden Überdruss am Digitalen“ gibt, wie es heißt. Von den Goldstein-Variationen bis zu den Toten Hosen – man könnte sogar sagen, gute Musik lässt sich daran erkennen, dass es sie auch auf Vinyl gibt. „In eine Schallplatte und ihr Cover kann man sich verlieben, in einen iTunes-Ordner nicht“, liefert Andreas Bauer einen der entscheidenden Unterschiede zur heutigen, wie manche sagen, seelenlosen Digital-Musik.
Wie recht er hat. Platten gibt es in allen Farben und mit Bildern drauf. Von den Hüllen gar nicht zu reden. Darunter sind nicht wenige, die man, ohne rot zu werden, als Kunst bezeichnen kann. Erinnert sei nur an Andy Warhols legendären Bananen-Umschlag für The Velvet Underground & Nico.
Das erste Knistern, die Spannung, die Musik
Das Auflegen von Platten ist für Puristen eine Zeremonie. Man fasst das Vinyl am Rand mit spitzen Fingern an, hält die Scheibe schräg ins Licht, um Staubkörner zu entdecken. Sie wird gesäubert und umständlich auf den Plattenteller gelegt. Dann das erste Knistern, die Spannung, die Musik. Noch heute, sagen viele, gibt es keinen Tonträger, der die Noten so authentisch überträgt wie die analoge Schallplatte.
In Andreas Bauers Wohnung, die nur durch einen Eingangsraum von der Manufaktur getrennt ist, stapeln sich rund 5000 Vinylscheiben. Der Mann mit der Baseball-Kappe pflegt die Liebe zu seinem Besitz und seinen Produkten. Er ist kein Billig-Presser, sondern achtet vor dem Schneiden darauf, dass Töne Tiefe haben und nicht flach klingen. Von Klassik bis Rap, von Rock bis Jazz – im „Andy Bees Businesspark“ in Tiefenbach ist die Erde gewissermaßen eine Scheibe. Und noch etwas merkt der Hobby-DJ an: „Meine Schallplatten halten, bei sorgfältiger Behandlung und Pflege, praktisch ewig.“ Das lässt hoffen.