Im digitalen Zeitalter tun sich immer mehr Wege für Cyber-Kriminelle auf, an Geld zu kommen. Man nehme etwa E-Mails, eine Schadsoftware, einen Klick des Empfängers und ein Krankenhaus, das bereit ist zu zahlen.
Etliche Kliniken in Deutschland haben so ein Szenario bereits erlebt, einige haben sich von sogenannter Ransomware freikaufen müssen. Doch manche IT-Experten warnen, Gesundheitseinrichtungen würden das Problem noch nicht ausreichend ernst nehmen. Dabei sind diese Angriffe aus ihrer Sicht erst der Anfang - und Cyber-Erpressungen nur die Spitze des Eisbergs.
"Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen nehmen zu"
"Cyber-Kriminelle haben den Gesundheitssektor als lukrative Industrie entdeckt", sagt der europäische Technikchef von Intel Security, Raj Samani. "Wir sehen, dass diese Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen zunehmen."
Die meisten Cyber-Angriffe auf deutsche Kliniken sind derzeit Erpressungsversuche: Eine E-Mail, infiziert mit Software, wird verschickt, ein Angestellter macht sie auf und klickt einen Link an. Die Software macht sich im System breit und verschlüsselt die Daten. Um sie zu entschlüsseln, soll die Klinik zahlen.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik stuft die Gefährdungslage durch Ransomware als hoch ein. Im Frühjahr wurden mehrere Fälle solcher Attacken in Deutschland bekannt. Eine Klinik in Neuss etwa fuhr das gesamte IT-System herunter, um ein Ausbreiten der Software zu verhindern. Einige planbare und besonders große Operationstermine wurden verschoben.
Doch in der Öffentlichkeit und in Krankenhäusern sei das Ausmaß der Bedrohung noch nicht wirklich realisiert worden, meint IT-Experte Mark Semmler bei einem Seminar der Beratungsfirma RS Medical Consult in Nürnberg.
Keine Meldepflicht für Krankenhäuser
Das liegt wohl auch daran, das bisher nur wenig Fälle bekannt sind und es kaum offizielle Zahlen zu Angriffen gibt. Denn noch gelte für Krankenhäuser gemäß IT-Sicherheitsgesetz keine Meldepflicht, sagt das BSI. Allerdings haben in einer Umfrage 78 von 89 befragten Gesundheitseinrichtungen in diesem Jahr Angriffe mit Ransomware verzeichnet.
Allein in Bayern sind laut Landeskriminalamt in diesem Jahr bislang 13 Anzeigen mit Bezug auf Hacking oder Ransomware eingegangen - im Jahr zuvor waren es nur zwei.
Aus Sicht von Semmler sind die meisten Krankenhäuser für Cyber-Angriffe nicht gewappnet. Zum einem komme die Medizintechnik oft nicht mit ausreichendem IT-Schutz von den Herstellern. Zum anderen sieht er eins der größten Probleme im Personal, das nicht ausreichend geschult werde. Bei einigen Kliniken fehle es aber auch an einfachen Basisschutzmaßnahmen: Firewalls, gute Anti-Viren-Systeme, regelmäßige Kontrollen der Datensicherung, ein segmentiertes Netz.
"Es gibt sicher Häuser, wo an Sicherheit gespart wird"
Der Bundesverband der Krankenhaus-IT-Leiter sieht die Lage weniger problematisch. "Natürlich gibt es einige Baustellen", sagt Vorstandsmitglied Michael Thoss, etwa im Bereich der Personalschulung und der Medizintechnik. "Die Krankenhäuser haben aber im Rahmen des Machbaren eine ausreichende IT-Sicherheit." Bereits wegen der Verwaltung großer Mengen an personenbezogenen Daten hätten Krankenhäuser schon immer einen hohen Schutz gewährleisten müssen.
Zudem hätte die Welle an Cyber-Attacken im Frühjahr das Thema IT-Sicherheit mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, meint Thoss - und somit auch in das der Krankenhausleitungen. Das sei gut. Denn aus seiner Sicht hakt der Ausbau der IT-Sicherheit auch oft am Geld. "Es gibt sicher Häuser, wo an Sicherheit gespart wird."
Markt für gestohlene Gesundheitsdaten
Doch Experten warnen, dies sei erst der Anfang. Samani zufolge werden Angriffe immer gezielter. Und: "Es entwickelt sich ein Markt für gestohlene Gesundheitsdaten." Intel Security hat recherchiert, dass in den USA medizinische Datensätze für Preise zwischen drei US-Cent und 2,40 US-Dollar verkauft werden. Das ist Samani zufolge zwar noch nicht so lukrativ wie Finanzdaten, aber für die Geschädigten verheerender. Denn Kreditkarten kann man sperren und ersetzten lassen, Gesundheitsdaten wie Namen, Adresshistorien, Sozial- und Rentenversicherung dagegen nicht.
Das könnte zunehmend ein Problem werden, je stärker Patienten und Krankenhäuser vernetzt werden. "Jeder neue Kommunikationsweg gibt neue Angriffsmöglichkeiten", sagt Kurt Marquardt beim Expertenforum in Nürnberg.
Er ist Bereichsleiter für Konzern-IT bei der Rhön-Klinikum AG. In den Krankenhäusern dieses Konzerns würden teilweise Gesundheitsdaten eines Patienten durch einen Sensor an die Klinik übermittelt - auch von Zuhause aus. Dort, wo die Gefahr des Abgreifens dieser Daten am größten ist, versuche der Konzern aber so gut es geht, Informationen über den Patienten zu schützen.
Derzeit kommt es in Deutschland noch nicht zum Diebstahl von Patientendaten, schätzen Experten. Dafür gibt es laut Semmler hierzulande noch keinen Markt. "Aber zu sagen, dass das nicht in Deutschland passieren kann, ist gefährlich", sagt Samani. dpa