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Landtagswahlen in Bayern: Christian Ude: Die Verwandlung

Landtagswahlen in Bayern

Christian Ude: Die Verwandlung

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    Tritt Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (links) als SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl an? Für CSU-Kreisvorsitzenden Alfred Sauter (Mitte oben) wäre das „ein Beitrag zu erhöhter Aufmerksamkeit“. JU-Bezirksvorsitzender Dr. Hans Reichhart sagt, Ude sei nur ein Münchner Phänomen. Bundestagsabgeordneter Georg Nüßlein (rechts) hat derweil andere Sorgen: Ihn beschäftigt die Rettung des Euro.
    Tritt Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (links) als SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl an? Für CSU-Kreisvorsitzenden Alfred Sauter (Mitte oben) wäre das „ein Beitrag zu erhöhter Aufmerksamkeit“. JU-Bezirksvorsitzender Dr. Hans Reichhart sagt, Ude sei nur ein Münchner Phänomen. Bundestagsabgeordneter Georg Nüßlein (rechts) hat derweil andere Sorgen: Ihn beschäftigt die Rettung des Euro. Foto: Fotos: Schöllhorn, Archiv

    In den USA sind sie ziemlich erfinderisch, wenn es darum geht, knackige Begriffe für politische Phänomene zu prägen. Einer der bekanntesten ist der Begriff „lame duck“ (lahme Ente). Er beschreibt einen Präsidenten, der in Kürze aus dem Amt scheidet und deshalb weitgehend machtlos geworden ist. Das weniger bekannte Gegenteil von „lame duck“ ist „white hope“ (wörtlich: weiße Hoffnung). Der Begriff ist in diesem Zusammenhang nicht rassistisch zu verstehen, sondern bedeutet so viel wie Hoffnungsträger. Historische Beispiele, dass lahme Enten sich am Endpunkt ihrer Karriere noch einmal in Hoffnungsträger verwandeln, sind schwer zu finden. Ausgerechnet in Bayern und – mehr noch – ausgerechnet in der bayerischen SPD hat sich nun eine derart wundersame Verwandlung ereignet.

    Der nun schon seit 18 Jahren amtierende Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (63), der seiner Partei über Jahre hinweg mit eher kühler Distanz und manchmal sogar mit bissigem Spott begegnete, hat beschlossen, sich für die SPD noch einmal in ein Abenteuer zu stürzen. Statt weitere zwei Jahre „nur“ OB und Städtetagspräsident zu sein und auf den Übertritt in das für ihn vermutlich gähnend langweilige Dasein eines Altoberbürgermeisters zu warten, will Ude im Landtagswahlkampf 2013 SPD-Spitzenkandidat werden und als Herausforderer von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) antreten.

    Ude meint es ernst, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung beteuert. Schon seit seinem Parteieintritt 1966 sei er der Überzeugung, „dass die Allmacht der CSU gebrochen gehört“. Irgendwann müsse schließlich auch in Bayern der „Normalfall in einer parlamentarischen Demokratie eintreten“, also ein Regierungswechsel möglich sein.

    Politisch sei dies längst überfällig, sagt Ude und nennt, als wäre er schon mitten im Wahlkampf, gleich zwei Beispiele: Die „rückständige Bildungspolitik“ müsse dringend reformiert werden, ebenso der Umgang mit Unternehmen der öffentlichen Hand. „Das muss man sich einmal vorstellen: Während die Bayerische Landesbank mit dem halben Kabinett im Verwaltungsrat Milliarden verloren hat, erzielte die Stadtsparkasse München den höchsten Gewinn in ihrer Unternehmensgeschichte.“ Solche Worte versetzen die leidgeprüfte Bayern-SPD in Verzückung, in der CSU macht sich neue Unruhe breit.

    Der Grund liegt auf der Hand. Verschiedene Umfragen lassen das bisher Undenkbare als möglich erscheinen: dass erstmals seit mehr als 50 Jahren in Bayern eine Regierungskoalition ohne die CSU gebildet und ein Politikwechsel durchgesetzt werden könnte.

    Die FDP ist wieder deutlich unter die Fünf-Prozent-Marke gestürzt und die CSU hat sich von ihrer Wahlschlappe 2008, als sie nach Jahrzehnten der Alleinherrschaft die absolute Mehrheit verlor, bisher nicht wirklich erholt. Eine Dreierkoalition aus SPD, Freien Wählern und Grünen war somit schon keine reine Utopie mehr, als Ude seine Herausforderung noch gar nicht bekannt gegeben hatte.

    Mit seiner Kampfansage aber ist es jetzt mit einem Schlag wirklich spannend geworden. Zwar sind bis zur Wahl noch zwei Jahre hin. Doch bei der CSU wie auch bei ihren politischen Gegnern wird die Situation schon jetzt als mögliche historische Wendemarke wahrgenommen – hier als Gefahr, dort als Chance.

    Eine Ironie der Geschichte ist es, dass sich die CSU die Suppe zum Teil selbst eingebrockt hat. Als die SPD einen ersten Vorstoß unternahm, das Wählbarkeitsalter für hauptamtliche Kommunalpolitiker hinaufzusetzen, wurde dies von der Münchner CSU prompt als „Lex Ude“ bekämpft. 2013 werden es 20 Jahre sein, dass Ude in München regiert. Eine Änderung des Kommunalwahlrechts hätte ihm eine weitere Amtszeit ermöglicht. Die CSU verhinderte dies und bekommt es mit ihm jetzt auf Landesebene zu tun.

    Ude amüsiert sich köstlich über diesen Umstand. „Die klammheimliche Freude darüber kann ich nicht glaubwürdig unterdrücken“, sagt er und merkt an die Adresse des CSU-Vorsitzenden ironisch an: „Ich habe bei Horst Seehofer gelernt, dass man sich persönlich gut vertragen und sich doch gegenseitig in Pension schicken kann.“

    Bemerkenswert ist die Art und Weise, wie Ude Kandidat wurde. Es war eine Art Selbsternennung. Er nennt es ein „sehr unkonventionelles Verfahren“. Über Jahre hinweg hatte der selbstbewusste Oberbürgermeister seine Genossen immer wieder abblitzen lassen, wenn sie versuchten, ihn zur Spitzenkandidatur zu überreden. In diesem Sommer reichte es aus, dass er das Angebot von SPD-Landeschef Florian Pronold und SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher nicht sofort abgelehnt hat. Als er dann auch öffentlich nicht mehr dementierte, war die Sache praktisch gelaufen.

    Das ist Christian Ude

    Die Karriere von Münchens Oberbürgermeister: Bereits mit 18 Jahren trat der gebürtige Münchner Christian Ude der SPD bei.

    Nach bestandenem Abitur absolvierte Ude ein Volontariat bei der Süddeutschen Zeitung. Als Redakteur recherchierte er später in kommunaler Politik sowie Schul- und Hochschulpolitik.

    Parallel zu seiner journalistischen Ausbildung studierte er Geschichte, Soziologie und später Jura. Im Anschluss an sein Studium gründete er eine Rechtsanwaltskanzlei und vertrat Kommunalpolitiker.

    Sein Interesse zur Politik wuchs mit den Jahren: In den 70er Jahren war Ude ehrenamtlich Pressesprecher der Münchner SPD.

    Im März 1990 wurde Ude in den Münchner Stadtrat gewählt. Nur zwei Monate später wurde er zweiter Bürgermeister - zuständig für die Stadtwerke, die Sozialausschüsse, die Kulturpolitik, den Sport-, den Personal- und den U-Bahn-Ausschuss, Rechtsangelegenheiten sowie die Bezirksausschüsse.

    Seine Karriere als Anwalt legte Christian Ude endgültig 1993 zu den Akten. Ein neuer Lebensabschnitt begann: Ude wurde zum Oberbürgermeister der Landeshauptstadt gewählt.

    Die Münchner scheinen ihn zu mögen: 1999, 2002 und 2008 wurde er mit großer Mehrheit wieder gewählt.

    Neben seinem Amt als OB war Ude von 2005 bis 2009 und 2011 bis 2013 Präsident des Deutschen Städtetags.

    Bei der Landtagswahl 2013 trat Ude als Spitzenkandidat für die SPD an. Er erreichte nur 20,6 Prozent der Stimmen.

    Die guten Vorsätze des Vorstands der Bayern-SPD, die Kandidaten künftig so basisdemokratisch wie möglich auszuwählen, waren da gleich wieder über Bord gegangen. Seit Jahren stand fest: Wenn Ude will, erübrigt sich jede weitere Debatte. Jetzt war es so weit. Die Partei sei, so sagt Fraktionschef Rinderspacher, „Feuer und Flamme“. Es gebe von der Basis „nur positive Rückmeldungen“.

    Trotzdem musste die Form gewahrt werden. In einer langen Serie von Telefonaten von der Ferieninsel Mykonos aus versicherte sich Ude der breiten Unterstützung der Genossen. Der Landesvorstand wird ihn in Kürze vorschlagen – vermutlich einstimmig. Und noch in diesem Jahr kann er dann, wie von ihm gewünscht, auf einem Parteitag offiziell gekürt werden. Ude freut sich erkennbar über den Zuspruch, merkt aber zu seiner künftigen Rolle in der Landespolitik an: „Ich persönlich habe überhaupt noch nichts geleistet, außer dass ich nicht Nein gesagt habe.“ Das Bedürfnis nach einem Regierungswechsel in Bayern gebe es in der SPD schon lange. Was gefehlt habe, sei die „Personifizierung“ an der Spitze.

    Dass er parteiintern wegen der umstrittenen dritten Startbahn für den Münchner Flughafen auch mit heftigem Widerstand aus dem Großraum Freising zu rechnen hat, weiß Ude. Doch hier zeigt er sich unbeugsam. „Ein Spitzenkandidat kann nur etwas bewegen, wenn er glaubwürdig ist“, sagt er und holt weit aus.

    Seit 1972 verfolge die Stadt München einen Flughafenausbau mit drei oder vier Startbahnen. Die dritte Startbahn sei in seinem Wahlprogramm gestanden, von der SPD in München und vom Stadtrat beschlossen worden. Dazu stehe er. „Niemand kann glauben, dass ich noch glaubwürdig wäre, wenn ich Wahlversprechen und Beschlüsse für unerheblich erklären oder den Wahlkampf mit einer Persönlichkeitsspaltung beginnen würde.“

    In der CSU gibt man sich zwar nach außen hin gelassen. Intern allerdings werden sehr wohl unangenehme Effekte der Kandidatur des populären Oberbürgermeisters registriert.

    Erstens trete mit Ude ein durch und durch bürgerlicher Sozialdemokrat an, der München 18 Jahre lang erfolgreich regiert hat und der bis weit in die rechte Mitte hinein ausstrahlt. Zweitens löse seine Kandidatur womöglich eine breite Mobilisierung innerhalb der SPD und ihrer Anhängerschaft aus. Beides sei gefährlich, wenn es 2013 wirklich knapp werden sollte.

    Eine Gegenstrategie wird deshalb sein, Ude als lokales Phänomen hinzustellen. In München ist er – wieder so ein amerikanischer Begriff – „a big fish in a small pond“ (ein großer Fisch in einem kleinen Teich). Jenseits der Stadtgrenzen aber sehe die Welt anders aus. Dort soll der SPD-Hoffnungsträger, so wünscht es sich die CSU, zum kleinen Fisch im großen Teich mutieren.

    Dass er hier eine Schwachstelle hat, räumt Ude offen ein. „Ich werde in engem Zusammenhang mit der Stadt München und ihrer Entwicklung gesehen“, sagt er. Mit den Problemen des ländlichen Raums habe er sich bisher noch nicht näher beschäftigt. Doch das will er in den kommenden 24 Monaten nachholen: „Wenn ich eine gesamtbayerische Rolle übernehmen soll, muss ich mich in ganz Bayern auf diese Rolle vorbereiten.“

    Ein Unbekannter ist Ude außerhalb Münchens freilich nicht. Jahr für Jahr wird er dem Fernsehpublikum vom Nockherberg aus als „Majestät“ oder „Diva“ präsentiert, die sich im Spiegel bewundert oder sich selbst an die große Glocke hängt. Ude lässt es geschehen. „Ich bin als königlich bayerischer Sozialdemokrat nicht empfindlich, wenn ich als Monarch hingestellt werde“, sagt er, „aber ich bin nicht bereit, dem Klischee konservativer Journalisten zu entsprechen, dass Sozialdemokraten mausgrau, depressiv und von Selbstzweifeln zerfressen sein müssen. Da nehme ich lieber billigend in Kauf, dass sie an meinem Selbstbewusstsein Anstoß nehmen.“

    Der Kabarettist Uli Bauer, der ihn über Jahre hinweg am Nockherberg parodierte, kennt auch seine ernste Seite. Er sagt über Ude: „Ich halte ihn auf jeden Fall für ehrlich. Er ist jemand, wie ich glaube, der nicht aus Kalkül irgendwelche Entscheidungen trifft, sondern aus Überzeugung.“

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