Frau Stamm, nach den erheblichen Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl will die CSU-Spitze die „rechte Flanke“ schließen. Ist das aus Ihrer Sicht die richtige Antwort?
Barbara Stamm: Wir haben als Volkspartei bei unseren Wählern auch einen wertkonservativen Bereich. Ich sage als Stichwort nur: Ehe für alle. Da ist auf der einen Seite natürlich die Toleranz, die wichtig und notwendig ist. Wir haben aber mit solchen Themen auch einen Teil unserer Wähler vergrault. Menschen, die sagen: Wir sind zwar tolerant. Aber Ehe und Familie – das ist schon noch etwas Besonderes. Da gibt es auch noch andere grundsätzliche Themen. Diese Menschen müssen wir wieder gewinnen.
Günther Beckstein hat letzte Woche gesagt: Schuld war nicht die „rechte Flanke“. Es war eine Frage des fehlenden Vertrauens.
Stamm: Die Vertrauensfrage darf man in der Tat nicht unterschätzen. Es ist sehr wichtig, dass die Menschen daran glauben, dass man sie ernst nimmt, dass man sich um ihre Anliegen kümmert. Nur ist diese Vertrauensfrage inzwischen auch sehr vielschichtig geworden.
Die rechte Flanke hat sich ja vor allem auf die Flüchtlingskrise bezogen. Nach dem Motto: Man hätte einen noch strikteren Kurs fahren müssen. Wenn man aber das Wahlergebnis näher betrachtet, stellt man fest: Die größten Verluste hatte die CSU in den Bereich der Nichtwähler, dann folgt die FDP. Und dann erst die AfD. Kann dann die „rechte Flanke schließen“ wirklich die Antwort sein?
Stamm: Für mich ist das nicht die Antwort, weil meine Antwort das ist, was ich gerade ausgeführt habe: Die wertkonservativen Wähler, die wir wieder mehr in den Blick nehmen müssen. Und wer meint, dass es die Flüchtlinge alleine gewesen sind, die uns Stimmen gekostet haben: Ich glaube nicht, dass der auf dem richtigen Weg ist. Ich habe es doch selbst erlebt: Die einen waren höchst unzufrieden damit, wie hart wir mit den Asylsuchenden umgehen – bis hin zu Unternehmern. Und dann konnte man Menschen treffen, die gesagt haben: Für die Flüchtlinge habt ihr alles, für uns habt ihr nichts. Und wer garantiert unsere Sicherheit?
Dieser Spagat zwischen CSU-Anhängern, denen der Kurs schon jetzt zu hart war, und denen, die durch die Flüchtlinge verunsichert sind, dürfte aber für Ihre Partei nicht einfacher werden, wenn sie in Berlin in eine Jamaika-Koalition geht.
Stamm: Natürlich muss man für eine Koalition Kompromisse schließen. Aber das Schließen von Kompromissen wird offenbar für viele Menschen immer unverständlicher. Die Akzeptanz, um der Sache willen Abstriche von den eigenen Forderungen zu machen, ist in meiner Wahrnehmung massiv gesunken.
Was heißt das für die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition in Berlin?
Stamm: Für diese Koalitionsverhandlungen wird ganz entscheidend sein: Welche Kompromisse können wir als CSU noch eingehen? Und wenn Sie mich nach meiner persönlichen Meinung fragen: Ich bin entschieden der Auffassung, dass man von der gemeinsamen Position, die man in der Flüchtlingspolitik nun mit der CDU erreicht hat, keine Abstriche mehr machen kann. Da noch mal irgendwas zu öffnen, das ist zumindest für mich nicht möglich. Und falls jemand in der CDU gedacht hat: Jetzt verständigen wir uns mit der CSU. Am Ende wird es eh ganz anders kommen – dem muss ich sagen: Der irrt sich. Da kann es kein Zurück mehr geben.
Ist die Einigung mit der CDU schon ein Minimalkonsens für die CSU?
Stamm: Wenn jemand in der CSU sagen würde: Darin kann ich mich nicht wiederfinden – dann würde ich das nicht verstehen. Denn im Kern haben wir doch alles durchbekommen: die Zahl 200.000. Die Einbeziehung des Familiennachzugs in diese Zahl. Ausnahmen davon nur mit Zustimmung des Bundestages – die Bundeskanzlerin könnte eine Entscheidung wie im September 2015 doch gar nicht mehr alleine treffen. Oder die Aufnahmezentren: Das sind die Einrichtungen, die wir immer gefordert haben. Die Erweiterung der sicheren Drittstaaten um die Maghreb-Länder. Ich finde, da ist im Grunde alles drin, was wir immer schon wollten. Abweichungen kann es deshalb nicht mehr geben.
Es dürfte schwer werden, dies in den Verhandlungen so durchzusetzen.
Stamm: Ich gehe davon aus, dass andere auch gerne regieren möchten.
Ein anderes Thema in der CSU sind mögliche personelle Konsequenzen aus dem Wahlergebnis. Theo Waigel musste als Parteichef aufhören, weil er in einer Bundestagswahl unter 50 Prozent geholt hat. Und Horst Seehofer soll nun bleiben dürfen, obwohl er unter 39 Prozent geblieben ist. Ist das wirklich realistisch?
Stamm: Ich weiß nicht, ob man das so verkürzen kann. Es ist aus meiner Sicht auch nicht die richtige Antwort, ohne gründliche Analyse gleich den Gesamtverantwortlichen infrage zu stellen. Was aber ganz sicher gilt: Wenn man sich darauf verständigt in einem Parteivorstand, dass über Personalfragen erst auf dem Parteitag gesprochen wird, um die eigene Verhandlungsposition in Berlin nicht selbst zu schwächen, dann muss man doch erwarten können, dass sich alle daran halten. Ich finde es nicht klug – von der menschlichen Seite gar nicht zu sprechen –, die eigene Position in Berlin durch Querschüsse aus den eigenen Reihen zu gefährden. Das ist für mich auch eine Stilfrage.
Es ist viel von einem geordneten Übergang die Rede. Es ist aber nur schwer vorstellbar, dass jetzt wochenlang überhaupt nichts gesagt wird. Und auf dem Parteitag kommt es dann wie aus dem Nichts zu einer geordneten Personaldebatte?
Stamm: Zu einer geordneten Debatte gehört ja zunächst einmal auch der, der am meisten betroffen davon ist. Da geht es um Dialog auch mit der Basis. Da geht es um die Zukunft unserer Partei. Da geht es um Besonnenheit.
Und diese Gespräche mit Horst Seehofer werden jetzt schon geführt?
Stamm: Ich habe keinen Auftrag, ein solches Gespräch zu führen, deshalb kann ich dazu nichts sagen. Es geht jetzt einzig und allein darum, dass wir denjenigen stärken, der die Verhandlungen führt, und dies ist der Parteivorsitzende. Nur so holen wir die besten Ergebnisse für die Menschen in Bayern. Nur so schaffen wir Vertrauen in der Bevölkerung – und für 2018.
Horst Seehofer hat also zuerst das Wort?
Stamm: Es geht darum, jetzt eines nach dem anderen zu machen. Wir wollen Ergebnisse, in denen sich die CSU gut wiederfindet und keine faulen Kompromisse. Dann kommt die Diskussion um die personelle Aufstellung.
Barbara Stamm ist Landtagspräsidentin und stellvertretende CSU-Vorsitzende. Stamm ist 72 Jahre alt, ist verheiratet und hat drei Kinder.
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Umfrageinstitut Civey zusammen. Was es mit den Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.