Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Marathon-Debatte: Bier und Leitkultur: So stritt der Landtag über das Integrationsgesetz

Marathon-Debatte

Bier und Leitkultur: So stritt der Landtag über das Integrationsgesetz

    • |
    Die Abgeordneten Schalk, Bildungsminister Spaenle, Finanzminister Söder und der Abgeordnete Sauter (von links) mussten sich während der Sitzung des bayerischen Landtags anlehnen.
    Die Abgeordneten Schalk, Bildungsminister Spaenle, Finanzminister Söder und der Abgeordnete Sauter (von links) mussten sich während der Sitzung des bayerischen Landtags anlehnen. Foto: Matthias Balk/dpa

    Was? Wie? Kein Bier? Das kann doch nicht wahr sein! Auch im Landtag, zumal im bayerischen, menschelt es. Und als zum Auftakt der 16-stündigen Marathondebatte um das Integrationsgesetz der CSU-Staatsregierung das Gerücht die Runde macht, dass die Landtagsgaststätte um 24 Uhr geschlossen wird, herrscht kurzfristig Ratlosigkeit. Die Abgeordneten wollen zwar die Welt verbessern. Sie schlagen sich dafür im Ernstfall auch mal eine Nacht um die Ohren. Aber so ganz ohne eine erfrischende Halbe zwischendurch? Das empfinden nicht wenige als einen veritablen Angriff auf die bayerische Leitkultur.

    Normalerweise ist die Sache klar geregelt. Oben vor dem Plenarsaal gibt es während der Sitzungen Getränke und Kaffee, Würstel und Kuchen, aber weder Bier noch Wein. Wer unbedingt was will, muss zwei Stockwerke nach unten in die Gaststätte gehen. Die Zeiten, dass ein Weißbier am Vormittag als Normalität akzeptiert wurde, sind auch in Bayern schon lange vorbei. Erst die Politik, dann die Geselligkeit. Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) wacht streng über die Einhaltung dieser Reihenfolge.

    Welche Regeln aber gelten in so einer außergewöhnlichen Situation? Da geht es um mehr als um Bier. Die fast allmächtige Regierungspartei CSU ist mächtig genervt, weil sie von SPD und Grünen zu einem Filibuster, einer Endlosdebatte gezwungen wird.

    Der Landtag präsentiert sich in diesen 16 Stunden mit zwei Gesichtern. Vor dem Plenarsaal geht es zunächst locker zu. Es werden Witze gerissen, über die „Integrations-Schals“, die sich die Grünen umgehängt haben, oder über die Feldbetten, die bei der SPD vorsorglich für ihre Abgeordneten bereit gehalten wurden. Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause verteilt Schokolade an Saaldiener und Polizisten. Abgeordnete der CSU und der Freien Wähler schimpfen über das Spektakel, das ihnen bevorsteht. „Quasselbude“ und „Bayerischer Staatszirkus“ lauten die Stichworte. Und hinter vorgehaltener Hand melden sich Zweifler aus beiden Lagern zu Wort. „Stundenlang müssen wir hier sitzen und uns den Schmarrn anhören und am Schluss kassiert dann doch wieder das Verfassungsgericht das Gesetz“, mosert eine CSU-Frau. Eine SPD-Abgeordnete sagt: „Ich bin mir wirklich nicht sicher, wie das, was wir hier veranstalten, draußen bei den Leuten ankommt.“

    Drinnen im Saal geht es dagegen schon bald mit Wucht und Streitlust zur Sache. Um 13 Uhr, die Abgeordneten haben da schon fünf Stunden Sitzung hinter sich, beginnt die Beratung des Integrationsgesetzes. Um 16 Uhr muss nach lautstarken Wortgefechten zum ersten Mal der Ältestenrat einberufen werden. SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher wirft der CSU in einer „Erklärung zur Abstimmung“ vor, sich der Debatte zur verweigern. Die Peter Meyer will für Ruhe bei der CSU-Fraktion sorgen. Wieder eine Stunde Pause. Und dann geht es erstmals richtig rund.

    CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer hält SPD und Grünen „Missbrauch der Geschäftsordnung“ vor. Wenn es in dem Tempo weiter gehe, dauere die Debatte bis Freitag, 14 Uhr. Das sei nicht durchführbar. Kreuzer erklärt: „Die CSU-Fraktion zieht deshalb ihre Redner zurück.“ In dem Moment gibt es, was verboten ist, spontanen Applaus von der Besuchertribüne. Es sind Mitglieder der AfD. Helle Empörung bei der

    Heftige Debatte: Kurz nach Mitternacht kracht es

    Ab jetzt reden nur SPD und Grüne. Die CSU hofft, mit ihrer Nichtbeteiligung die Sitzung bis fünf Uhr früh zu Ende bringen zu können. Auch die Freien Wähler schweigen. Kurz nach Mitternacht kommt es zum nächsten Krach. Die Meldung, dass mutmaßlich linke Chaoten am Abend die Parteizentrale der CSU mit Farbe attackiert hatten, hat den Landtag schon erreicht. Der Pressesprecher der CSU-Fraktion twittert: „Das ist also die Ernte der Saat, die #SPD und #Grüne mit ihren Pöbeleien gegen die #CSU ausgestreut haben.“ Da gibt es bei der SPD kein Halten mehr. Ihr Geschäftsführer Volkmar Halbleib tobt. Er verurteilt die Schmierereien und sagt: „Wir können nicht akzeptieren, dass der Pressesprecher der CSU-Fraktion diese Schmierereien mit der politischen Arbeit von SPD und Grünen in Verbindung bringt.“ Dies sei eine „absolute Ungeheuerlichkeit“.

    CSU-Fraktionschef Kreuzer geht im Gegenzug auf SPD-Fraktionschef Rinderspacher los. „Sie haben in einem unglaublichen Umfang heute hier gehetzt“, schimpft er und bekennt sich zu seinem Sprecher: „Ich distanziere mich davon in keiner Weise.“ Der Vorwurf Rinderspachers, die CSU wolle Bayern einen „rechts gescheitelten Haarschnitt“ verpassen, sei eine „Unverschämtheit“. Die Fronten sind verhärtet. Drinnen im Saal reden danach wieder nur SPD und Grüne. Die CSU zeigt bei den Abstimmungen, wer der Herr im Haus ist, und verteidigt ihre Vorstellung von einer „Leitkultur“, der Migranten sich gefälligst anpassen sollen.

    Draußen vor der Tür rückt derweil die Bierfrage wieder in den Vordergrund. Eva Mühlegg, die Wirtin der Landtagsgaststätte, hat um Mitternacht wie selbstverständlich Bier nach oben bringen lassen. Der Ausschank direkt vor dem Plenarsaal aber scheitert am Widerspruch der Landtagspräsidentin. Das Bier muss weggeräumt werden. Die bayerische Bierkultur ist dadurch aber nicht totzukriegen. Die Wirtin richtet in der Gaststätte einen Notausschank ein. Ohne Personal. Wer zapft, muss erst am nächsten Tag zahlen. Es kommen viele, aus jedem Lager.

    Um fünf Uhr ist Schluss. Das Integrationsgesetz ist verabschiedet. Wer noch nicht zu müde ist, geht zum gemeinsamen Frühstück.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden