Bislang war Beate Zschäpe nicht so eindringlich mit Schmerz und Leid der Opfer konfrontiert worden. Im NSU-Prozess wurde am Donnerstag Pinar Kilic als Zeugin gehört. Ihr Mann war das vierte Mordopfer der Neonazi-Terroristen. Kilic betreute das Lebensmittelgeschäft der Familie in München , während sie im Urlaub in der Türkei war.
An einem warmen Augusttag im Jahr 2001 ermordeten ihn dort die NSU-Terroristen mit zwei Kopfschüssen.
Die Angeklagten im NSU-Prozess
Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:
Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).
Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.
Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.
Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.
Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.
Im Gerichtssaal sitzt die Witwe des Mordopfers vielleicht fünf Meter von Beate Zschäpe entfernt. Pinar Kilic fällt es schwer, von ihrem Mann zu sprechen. "Er war ein sehr guter Mensch, Familienvater. Er war für mich ein anständiger Mann. Was soll ich denn noch erklären?"
Aufgewühlte Zeugen im NSU-Prozess
So souverän der Vorsitzende Richter Manfred Götzl sonst die Verhandlung leitet - der Umgang mit aufgewühlten Zeugen, denen die Strafprozessordnung fremd ist, gehört nicht zu seinen Stärken. Wie es ihr nach dem Tod ihres Mannes erging, will er wissen. Pinar Kilic antwortet nicht direkt - sie fragt den Richter, ob er sich denn vorstellen könne, wie es ihr erging.
"Wenn man jemanden verliert, dann das Geschäft verliert? Wenn man schlecht über uns redet? Wie sie uns behandelt haben wie ein Verdächtiger? Können Sie sich das vorstellen?" Und schon gar nicht kann sie verstehen, dass sie darüber in Gegenwart von "dieser Frau" reden soll, von Beate Zschäpe. Sie ist sichtlich aufgewühlt, ringt mit den Tränen. Doch Götzl beharrt: "Wenn ich Sie höflich frage, erwarte ich schon auch höfliche Antworten."
Witwe ist vor Gericht aufgebracht, wütend und verständnislos
Zwischendurch scheint es, als würde die ganze Vernehmung zu einem großen Missverständnis. Götzl scheint nach Bausteinen für eine Urteilsbegründung zu fragen, Kilic ist aufgebracht, wütend, verständnislos. Es sei ein "Blutbad" gewesen in ihrem Lebensmittelgeschäft, sagt sie, und sie hätten selbst saubermachen müssen. Sie hat das Geschäft aufgegeben. "Ich konnte das nicht mehr, mit dem ganzen Blut." Sie musste in eine andere Wohnung ziehen, die Tochter auf eine neue Schule gehen. Freunde hätten sich abgewandt.
Das ist Beate Zschäpe
Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.
Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.
Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.
Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.
Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.
Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.
Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.
Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.
Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.
Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".
Beate Zschäpe, die bislang den Prozess weitgehend regungslos verfolgt hat, schaut immer wieder hinüber zu Kilic. Den Kopf hat die Hauptangeklagte die meiste Zeit auf die Hände gestützt. Man kann den Eindruck bekommen, dass der Zeugenauftritt sie berührt - auch wenn es in gewisser Weise müßig ist, über ihr Innenleben zu spekulieren, so lange sie selbst nicht redet.
Ungewohnte Heftigkeit zwischen Nebenklägern und Ermittlern
Zuvor war der latente Konflikt zwischen Nebenklägern und Ermittlern, der während des gesamten Prozesses im Hintergrund steht, mit ungewohnte Heftigkeit ausgebrochen. Als Zeuge wurde Josef Wilfling gehört, der die Ermittlungen im Fall Kilic leitete. "Nach unserer Einschätzung war das eine absolut professionelle Hinrichtung", sagte der pensionierte Beamte. Er wandte sich an Götzl. "Sie wissen ja, dass unser Erkennungsdienst wirklich akribisch arbeitet." Man kennt sich in München. "Da wurde jeder Quadratzentimeter abgesucht. Wir fanden außer den Projektilen in dem Laden keine einzige tatrelevante Spur."
Mehrere Nebenklage-Anwälte wollten wissen, warum nicht nach rechtsextremen Tätern gesucht wurde. Und warum hingegen Verbindungen zum Drogenmilieu geprüft wurden. Irgendwann wird Wilfling ungeduldig. "Jetzt soll man mal bitte nicht so tun, als ob es keine türkische Drogenmafia gibt!"
Opferanwalt Adnan Erdal wirft Wilfling schließlich vor, mit "Halbwahrheiten" zu hantieren. Erdals Stimme wird laut, der Ton scharf: "Es ist kein Geheimnis, dass es in Deutschland auch kranke Menschen gibt, die sich als Neonazis bezeichnen!" Schließlich unterbricht Götzl die Sitzung. "Jetzt machen wir mal fünf Minuten Pause, jetzt regen Sie sich bitte ab!"
Danach hat sich die Lage etwas beruhigt, doch der Konflikt wird bleiben: Die Bundesanwaltschaft möchte über die Anklage verhandeln, und alles, was nicht direkt damit zu tun hat, aus dem Prozess heraushalten. Vielen Nebenklägern genügt das nicht: Sie wollen Aufklärung über Ermittlungsfehler und über mögliche Unterstützer der Gruppe. Götzl wird noch viel Fingerspitzengefühl brauchen in diesem Prozess. dpa/AZ