Waldemar N. ist kleiner als erwartet. Er trägt einen engen grauen Pulli, durch den sich ein kräftiger Brustkorb abzeichnet. Zwei Polizisten bringen ihn in den Schwurgerichtssaal. Er lächelt kurz in Richtung Zuschauer, hat offensichtlich jemanden erkannt. Der 31-Jährige ist im Gesicht schmaler als auf früheren Facebook-Fotos. Wahrscheinlich sind es die äußerlich sichtbaren Folgen einer bereits neun Monate dauernden Untersuchungshaft.
Doppelmord in Hirblingen: War Habgier das Motiv?
Denn Waldemar N. soll im Dezember 2016 im Gersthofer Ortsteil Hirblingen (Kreis Augsburg) seine beiden Nachbarinnen auf bestialische Weise ermordet haben. Laut Anklage ging er am Morgen des 9. Dezember nach seiner Nachtschicht mit zwei langen Küchenmessern bewaffnet zu dem lesbischen Paar hinüber. Mit Dutzenden, teils bis zu 25 Zentimeter tiefen Stichen soll er Elke W., 49, und Beate N., 50, regelrecht hingemetzelt haben. Als Motiv vermuten die Ermittler Habgier.Der in Kasachstan geborene Waldemar N. soll rund 130.000 Euro Schulden gehabt und seinen Dispokredit jeden Monat überzogen haben.
Zugang zu dem Haus der beiden Nachbarinnen soll er sich mit deren Hausschlüssel verschafft haben. Seine Mutter war mit den Nachbarinnen befreundet. Sie goss die Pflanzen und fütterte die Katze, wenn die Frauen mehrere Male im Jahr in den Urlaub fuhren. Die Leichen der Opfer soll N. in Schlafsäcke gewickelt, mit deren eigenem Auto wegtransportiert und am Flüsschen Schmutter vergraben haben. Sie wurden erst kurz vor Weihnachten bei einer groß angelegten Suchaktion gefunden.
Die Ermittler stützen sich auf eine ganze Reihe handfester Indizien. DNA-Spuren des Angeklagten fanden sich an den Leichen der Frauen. In seinem weißen 3er BMW fand die Kripo den Kassenzettel für einen solchen Spaten, wie er neben dem Erdgrab der Opfer gefunden wurde. Zudem wurden in N.s Wagen Bargeldbündel unter der Fußmatte des Fahrersitzes und in der Mittelkonsole entdeckt. Er soll rund 5000 Euro von den Konten der Frauen abgehoben haben. Die EC-Karten hat er laut Anklage aus deren Haus mitgenommen, die Geheimnummer soll er sich mit Schlägen erzwungen haben.
Der Angeklagte schweigt
Die Indizienlage ist erdrückend, doch der Angeklagte zeigt sich verschlossen wie eine Auster. Gerade einmal seinen Vornamen, sein Geburtsdatum und seinen Beruf nennt er am Mittwochvormittag zu Beginn des Prozesses. Dann ist Schluss. N. schreibt zwar permanent mit, schweigt aber. Sein Verteidiger Walter Rubach erklärt: „Er wird keine Angaben machen – weder zur Sache, noch zur Person.“ Dem Augsburger Schwurgericht unter Vorsitz von Susanne Riedel-Mitterwieser steht ein aufwendiger Indizienprozess bevor. 16 Verhandlungstage sind angesetzt.
Denn obwohl viele Fakten Waldemar N. belasten, sind Fragen offen. Kann es wirklich sein, dass ein nicht vorbestrafter junger Mann wegen 5000 Euro zwei Frauen ersticht, mit denen er zuvor in guter Nachbarschaft lebte? War der Täter allein? Und warum agierte er so blutrünstig? Waldemar N. soll den beiden Frauen mehr als 30 Messerstiche beigebracht haben. Kriminalisten und Psychologen nennen das „Übertöten“ und kennen solche Bluttaten nur, wenn starke Emotionen im Spiel sind – Rache, Hass, enttäuschte Liebe.
Bisher gibt es aber keine Hinweise, dass zwischen N. und den Nachbarinnen solcherlei Gefühle im Spiel waren. N., der morgen 32 wird, hat als Industriemeister gearbeitet, wohnte allein in einer Einliegerwohnung über seiner Mutter. Er hatte mehrere Beziehungen zu Frauen. Urlaube führten ihn bis nach Dubai. Die Ermittler schreiben ihm ein etwas krudes Weltbild zu, er soll sich mit den Thesen der „Reichsbürger“ befasst haben. Einem Zellengenossen soll Waldemar N. gesagt haben, er habe keinerlei Gefühlsregungen. Aber was bedeutet das schon?
Die ersten Zeugenaussagen am Mittwoch zeigen, dass ein mühsames Puzzle ansteht. Zwei Schwestern von Elke W. sagen aus, als Nebenklägerinnen werden sie von Marion Zech vertreten. Sie berichten, dass das lesbische Paar ein angenehmes, finanziell sorgenfreies Leben geführt hat. Beate N. habe eine größere Erbschaft gemacht. Arbeitskollegen erzählen von der verzweifelten Suche nach den Frauen, nachdem sie Anrufe nicht mehr beantworteten und nicht zur Arbeit kamen. Eine Kollegin fuhr mit ihrem Chef zu dem Haus in Hirblingen. Als sie klingelten, machte Waldemar N. auf. Seine Mutter sagte, sie würden nach den Nachbarinnen suchen. In der Nacht zuvor soll N. die Frauen verscharrt haben.
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