Unterschiedlicher kann die Zwischenbilanz des Münchner NSU-Prozesses nach mehr als zwei Jahren nicht ausfallen: Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte, müsse mit einem Schuldspruch und einer hohen Strafe rechnen, heißt es schon seit einiger Zeit bei den Nebenklägern in dem Verfahren. Ganz im Gegenteil, ist jetzt aus dem Lager der Angeklagten zu hören. Auch nach mehr als zwei Jahren Prozessdauer sei ihre Schuld nicht bewiesen.
Was so gänzlich widersprüchlich klingt, hängt mit einer Eigenart der Anklage zusammen. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe nämlich nicht vor, die zehn Mordopfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" selber erschossen oder die beiden Bomben in Köln gelegt zu haben, die Dutzende Menschen verletzten. Vielmehr sei sie Mittäterin, weil sie als Mitglied des NSU den beiden mutmaßlichen Haupttätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den Rücken freigehalten habe, etwa indem sie Nachbarn die freundliche Hausfrau und damit eine bürgerliche Fassade vorgespielt habe.
Zschäpe hielt Mundlos und Böhnhardt Rücken frei
Diese Rolle haben die Zschäpe-Verteidiger im Gerichtssaal schon mehrfach bestritten, ohne allerdings eine andere Erklärung zu liefern, warum ihre Mandantin 13 Jahre lang mit Mundlos und Böhnhardt in der Illegalität lebte. Das sei in dem Gerichtsverfahren auch gar nicht nötig, ist aus Verteidigerkreisen zu hören.
Um zu verstehen, wie die Zschäpe-Verteidigung tickt, lohnt ein Blick auf ein ganz anderes Verfahren. Es spielt in der Stadt Kleve nahe der niederländischen Grenze. Dort wurde ein Mann zunächst wegen Beihilfe zum Drogenhandel zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte regelmäßig den Garten eines Hauses gepflegt, in dem sein Bruder eine Marihuana-Plantage angelegt hatte. Damit habe er dem Bruder helfen wollen, "den Schein aufrecht zu erhalten, [...] dass das Grundstück in üblicher Weise genutzt werde", urteilte das Landgericht Kleve.
Anwalt: Zschäpes Schuld schwer zu beweisen
In der Revision hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil aber auf. Der Mann habe zwar sogar von der Drogenproduktion seines Bruders gewusst, meinten die Richter des 3. BGH-Strafsenats. Damit sei aber nicht bewiesen, dass er den Garten auch "in dem Bewusstsein" pflegte, "die Haupttaten seines Bruders zu fördern". Auf diesen Vorsatz komme es aber an.
Derselbe Strafsenat des BGH wäre auch für eine Revision im NSU-Prozess zuständig. Außerdem kennt einer von Zschäpes Anwälten den Fall aus Kleve aus eigener Praxis. Der am Ende freigesprochene Gartenfreund wurde von Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Stahl vertreten.
Weil Zschäpe nicht nur als Helferin angeklagt sei, sondern als Mittäterin, gleichauf also mit Mundlos und Böhnhardt, sei ihre Schuld sogar noch schwerer zu beweisen, sagte Stahl der Deutschen Presse-Agentur. Das sei auch ein Grund dafür, dass der NSU-Prozess so lange dauert. "Wenn das alles so einfach wäre, wäre dieser Aufwand nicht nötig." Es gebe nur eine "ganz dünne Tatsachengrundlage".
Beweisaufnahme fokussiert nun Unterstützerumfeld und Person Zschäpe
Das sind die Verteidiger von Beate Zschäpe
Als «Sturm, Stahl und Heer» gehören die Anwälte von Beate Zschäpe neben den Angeklagten zu den prominentesten Beteiligten im NSU-Prozess. Vor allem ihre martialisch klingenden Namen ließen zu Beginn der Verhandlung aufhorchen.
Wolfgang Heer: Im NSU-Prozess ist er der Wortführer der Zschäpe-Verteidigung. Zunächst hatte er das Mandat allein übernommen, seine Kollegen kamen später hinzu.
Mit zahllosen Anträgen brachte er vor allem zu Beginn der Verhandlung die Nebenkläger gegen sich auf. Heer ist kein Mitglied einer Partei und betonte zu Prozessbeginn:_«Das ist kein politisches Verfahren. Es geht darum, dass die Vorwürfe strafrechtlich untersucht werden.»
Geboren wurde er 1973 in Köln. Dort studierte er auch Rechtswissenschaften. Sein Schwerpunkt lag nach Angaben auf der Homepage seiner Kölner Kanzlei, die er gemeinsam mit seiner Kollegin Sturm führt, von Anfang an auf dem Strafrecht. Seit 2004 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.
Wolfgang Stahl: Im Zschäpe-Mandat sieht er auch eine Karrierechance, wie er zu Beginn des Prozesses selbst sagte. «Dies ist aus Verteidigersicht ein ähnlich bedeutendes Verfahren wie die RAF-Verfahren in den 70er Jahren», erklärte er.
In den Scharmützeln mit dem Vorsitzenden Richter hat er auch schon mal wutentbrannt den Verhandlungssaal verlassen.
Stahl ist Fachanwalt für Strafrecht und nach Angaben seiner Koblenzer Kanzlei ausschließlich als Strafverteidiger tätig. Seine Schwerpunkte liegen demnach eigentlich im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Er ist FDP-Mitglied und Oberstleutnant der Reserve und bearbeitete viele Jahre Wehrstraf- und Wehrdisziplinarsachen der Bundeswehr.
Anja Sturm: Anja Sturm wurde nach Angaben auf der Homepage ihrer Kanzlei 1970 in Ithaca in den USA geboren, studierte Rechtswissenschaften in Bayreuth und Kiel und machte sich 1999 als Anwältin in Berlin selbstständig, seit 2003 ist sie Fachanwältin für Strafrecht.
Nach der Geburt ihrer Kinder ging sie 2004 nach München. Seit 2012 arbeitete sie in einer renommierten Berliner Kanzlei - bis sie das Zschäpe-Mandat übernahm.
Ein Jahr später wechselte Anja Sturm in eine gemeinsame Kanzlei mit ihrem Kollegen Heer in Köln. Ihre Berliner Kanzlei soll sie zuvor für ihre Mandatsübernahme im Fall Zschäpe kritisiert haben. Mitglied einer Partei ist sie nicht.
«Als Verteidigerin reizt mich das Gefühl, einer der Übermacht des Staates ausgelieferten Person mit rechtlichen Mitteln beizustehen», sagte Sturm. «Auch Frau Zschäpe befindet sich in einer solchen Position.» dpa
Die allerdings versucht das Gericht nach Kräften zu vertiefen. Die Straftaten, die dem NSU vorgeworfen werden, sind überwiegend abgearbeitet. Mehr und mehr konzentriert sich die Beweisaufnahme auf das rechtsextreme Unterstützerumfeld und die Persönlichkeit der Angeklagten Zschäpe. Das sind die Felder, auf denen sich Hinweise auf den "Gehilfenvorsatz" finden könnten.
Demnächst etwa wird erneut ein Freund aus Jugendzeiten in Jena vernommen. Bei seiner ersten Befragung hatte er viel über Zschäpes Privatleben und ihre politische Gesinnung erzählt. Zschäpe, ohnehin erschöpft nach dreieinhalb Jahren Untersuchungshaft, zeigte sich dabei sichtlich genervt. dpa/AZ