Im NSU-Prozess ist heute nur ein einziger Zeuge geladen - der ehemalige Anwalt von Beate Zschäpe muss vor dem Oberlandesgericht in München (OLG) aussagen. Beate Zschäpe soll nach dem Tod ihrer beiden mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und nach tagelanger Flucht den Juristen am 8. November 2011 in seiner Kanzlei in Jena aufgesucht haben. So steht es in einem Polizeivermerk.
Anwalt soll Zschäpe zu Fuß zur Polizei begleitet haben
Damals soll der Anwalt Beate Zschäpe zu Fuß zur Polizei begleitet haben, wo sie sich stellte. Zschäpes jetzige Verteidiger im NSU-Prozess in München hatten dem Gericht mitgeteilt, dass die Angeklagte ihren damaligen Anwalt von seiner Schweigepflicht entbinde.
Die Angeklagten im NSU-Prozess
Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:
Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).
Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.
Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.
Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.
Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.
Am Mittwoch hatte sich das Oberlandesgericht München im NSU-Prozess bemüht, 18 Jahre alte Polizeivernehmungen der Hauptangeklagten Beate Zschäpe und von Ralf Wohlleben als Beweismittel einzubringen. Als Zeugen waren drei Polizisten geladen, die die Vernehmungen damals führten.
Puppe mit dem Schriftzug "Jude"
Es war das erste größere Ermittlungsverfahren gegen die Jenaer Neonazi-Szene wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Anlass war ein Vorfall, der in Thüringen für erhebliche Unruhe gesorgt hatte: Von einer Autobahnbrücke hing eine Puppe, auf der der Schriftzug "Jude" stand und an der ein Davidstern angebracht war. Auf der Brücke lag ein Pappkarton, den die Ermittler zunächst für eine Bombe hielten, der sich aber als Attrappe herausstellte. Die Spurensicherung hatte darauf einen Fingerabdruck des späteren mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt gefunden.
Das ist Beate Zschäpe
Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.
Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.
Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.
Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.
Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.
Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.
Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.
Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.
Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.
Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".
Daraufhin habe sich die damalige "Soko Rex", die sich schwerpunktmäßig mit der rechtsextremen Szene in Thüringen beschäftigte, an die Aufklärung gemacht, sagte einer der damaligen Ermittler. Zschäpe sei damals als Beschuldigte vernommen worden - Wohlleben, der im NSU-Prozess wegen Beihilfe angeklagt ist, als Zeuge.
Keiner der drei Beamten konnte sich allerdings noch an die damaligen Vernehmungen erinnern. "Das ist 18 Jahre her", sagte einer. Vor der Zeugenvernehmung im Prozess um die Verbrechen der Neonazi-Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" hätten sie die damaligen Vernehmungsprotolle lesen können, die ihrer Erinnerung aber auch nicht nachgeholfen hätten.
NSU-Trio soll auf Party gewesen sein
Es sei nur ein "Bauchgefühl" haften geblieben. Demnach hätten die Beamten den Eindruck gehabt, die Beschuldigten hätten sich "Alibis zugeschanzt" und ihre Aussagen miteinander abgesprochen. "Die veralbern einen, die sagen nicht die Wahrheit", meinte ein Beamter. Angeblich seien die Verdächtigen bei einer Party gewesen und hinterher in Zschäpes Wohnung. "Wir hatten aber Fakten", so der Polizist. Als Beispiel nannte er den Fingerabdruck Böhnhardts. Eine Kollegin sagte, Zschäpe habe in ihrer Vernehmung bedacht und routiniert gewirkt. "Sie war aufgeräumt im Kopf", sie habe "klipp und klar" gewusst, "was sie wollte".
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hatten 13 Jahre im Untergrund gelebt und sollen während dieser Zeit zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge begangen haben. dpa/AZ