In diesen Tagen bekommen die bayerischen Bürger Wahlbenachrichtigungen zugesandt - und manche stellen überrascht fest, dass sie am 15. September nicht nur den neuen Landtag wählen, sondern auch über fünf Änderungen der bayerischen Verfassung abstimmen sollen. CSU und Grüne nahmen das am Dienstag zum Anlass, um gut zweieinhalb Wochen vor der Wahl ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Eine der fünf Verfassungsänderungen könnte weitreichende politische Folgen haben, sofern die Wähler zustimmen: Wenn der Bund Hoheitsrechte des Landes an die EU abtritt, kann der bayerische Landtag per Gesetz sein Abstimmungsverhalten im Bundesrat vorschreiben.
Landtag könnte Abstimmungsverhalten im Bundesrat vorschreiben
Da bayerische Landesgesetze auch per Volksentscheid verabschiedet werden können, würde das nach Angaben von Landtags-Vizepräsident Reinhold Bocklet (CSU) bedeuten, dass die Bürger bei wichtigen europäischen Entscheidungen künftig direkt mitsprechen könnten.
Die Grünen halten diesen Plan für prinzipiell bedenklich, weil die bayerische Landesgesetzgebung den Bund nicht binden kann. Bocklets Vizepräsidenten-Kollegin Christine Stahl widersprach vehement: Sie kritisierte die Verfassungsänderungen als "Alibi-Politik".
Verfassungsänderungen als "Alibi-Politik" kritisiert
Die übrigen vier Verfassungsänderungen sind vier neue Staatsziele: gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land, die Förderung des Ehrenamts, die Aufnahme der Schuldenbremse in die bayerische Verfassung und die angemessene finanzielle Ausstattung der Kommunen. Da die Staatsregierung auch bisher schon diese Ziele verfolgt - wenn auch ohne Verfassungsrang - hält die Grünen-Politikerin Stahl diese Änderungen für überflüssig.
Vier neue Staatsziele sollen in bayerische Verfassung
Sie fürchtet eine schleichende Entwertung der Verfassung, wenn sie in jeder Wahlperiode um modische Ziele erweitert wird. "Wir lassen uns nicht von einem populistischen Ministerpräsidenten treiben, der seiner Amtszeit einen kostenlosen Lorbeerkranz aufsetzen möchte." Allerdings stehen die Grünen in dieser Frage allein: SPD, FDP und Freie Wähler haben die Verfassungsänderungen gemeinsam mit der CSU ausgehandelt und unterstützen sie.
Bei der CSU hält der Europaexperte Bocklet vor allem die Stärkung des Landtags bei der Abgabe von Hoheitsrechten an Brüssel für entscheidend. Bisher werde immer nur über den Bedeutungsverlust der Landesparlamente gejammert, sagte der frühere Europaminister. "Der Landtag schaut mit dem Ofenrohr ins Gebirge. (...) Wir sind die ersten, die aus diesem Punkt Konsequenzen ziehen."
Mehr Bedeutung Bayerns in Europapolitik
Praktisch könnte das etwa bedeuten, dass in Bayern ein Volksentscheid möglich ist, wenn die EU die Bildungsabschlüsse europaweit vereinheitlichen will. "Wenn eine solche Situation eintritt, wird darüber in ganz Europa berichtet", prophezeite Bocklet. Grünen-Rechtsexpertin Stahl glaubt, dass die CSU lediglich Ressentiments gegen Europa schüren will. Bocklet betonte jedoch, dass es ihm um die Stärkung des Landtags und der Landesgesetzgebung gehe.
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