Immer mehr bayerische Pfarrer geraten offensichtlich in das Visier der Staatsanwaltschaften, weil sie Flüchtlingen in ihrer Gemeinde Kirchenasyl gewähren. Das Thema hatte erst kürzlich hohe Wellen geschlagen, weil gegen die evangelische Pfarrerin Doris Otminghaus aus dem unterfränkischen Haßfurt wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ermittelt wird. Otminghaus gewährt afghanischen Flüchtlingen Kirchenasyl. Ihnen drohte die Abschiebung in ihre Heimat. Die Bamberger Staatsanwaltschaft bestätigte die Ermittlungen. Wie das Verfahren ausgeht, ist offen.
Auch in unserer Region ermitteln die Staatsanwaltschaften Kempten und Memmingen nach Informationen unserer Zeitung zurzeit gegen Pfarrer wegen der Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt. Gegen Geistliche in Nordschwaben laufen dagegen nach Angaben des zuständigen Polizeipräsidiums zurzeit keine Ermittlungen. Staatsanwaltschaften nehmen in der Regel erst die Arbeit auf, wenn sie von der Polizei entsprechende Meldungen erhalten haben. Von der Staatsanwaltschaft Schweinfurt in Unterfranken sind mindestens zwei Fälle bekannt. Die Würzburger Staatsanwaltschaft ermittelt ebenfalls in mehreren Fällen. Im mittelfränkischen Nürnberg landeten seit Jahresbeginn etwa zwölf Fälle auf den Schreibtischen der Staatsanwälte.
Kirchenvertreter kritisieren das Vorgehen der Behörden. Der Landesbischof der evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, bezeichnete die Ermittlungen und eine mögliche Strafverfolgung der Geistlichen als „unverhältnismäßig“. „Ich hoffe, dass dieses Vorgehen nicht zur Regel wird“, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Der evangelischen Landeskirche waren zuletzt 17 Ermittlungsverfahren gegen Pfarrer in Bayern bekannt. Zum Teil seien sie bereits wieder eingestellt worden. Im Falle einer Verurteilung drohen den Geistlichen Geld- bis Freiheitsstrafen.
Auch die katholischen Bischöfe zeigten sich besorgt. „Wir gehen davon aus, dass die vor zwei Jahren mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffene Vereinbarung weiter gültig ist“, sagte der Münchner Kardinal Reinhard Marx gestern. Fälle von Kirchenasyl müssten mit dem Katholischen Büro in München abgesprochen und bei den Behörden gemeldet werden, sagte Marx. Nach Auffassung der Kirche handle es sich daher nicht um ein „illegales Untertauchen“. Deshalb verließen sich die Bischöfe darauf, dass kein Flüchtling mit Gewalt abgeholt werde.
Noch deutlicher wurde die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl. Die Ermittlungen wirkten wie ein „Einschüchterungsversuch, der auf der symbolpolitischen Klaviatur spielt“, sagte die Vorsitzende Dietlind Jochims. Die Organisation kritisierte die „Kriminalisierung von Menschen, die gewaltfrei dafür eintreten, Menschenrechte zu achten und Leben zu schützen“. Deutschlandweit sind ihr 316 Kirchenasyle für 531 Menschen bekannt. Darunter befinden sich 141 Kinder. Auch der Bayerische Flüchtlingsrat zeigte Unverständnis für das Vorgehen der Behörden. „Das ist eine Frechheit“, sagte Sprecher Alexander Thal. „Wir fordern den bayerischen Justizminister Winfried Bausback dazu auf, seine Wachhunde zurückzupfeifen. Das geht so nicht!“
Der Minister entgegnete gestern: „Ich sage ganz klar: Es gibt keine Verschärfung der strafrechtlichen Verfolgung des Kirchenasyls.“ Der Eindruck, dass vermehrt gegen Pfarrer ermittelt werde, hänge mit dem stärkeren Zuzug von Flüchtlingen zusammen. Dennoch stelle die Gewährung von Kirchenasyl in der Regel eine strafbare Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt dar. „Und die müssen unsere Staatsanwälte verfolgen.“
Es ist gerade einmal ein Jahr her, da hatte ein junger Syrer, der nach Italien abgeschoben werden sollte, in der evangelischen Johanneskirche in Marktoberdorf Asyl erhalten. Pfarrer Klaus Dinkel sprach damals von einer „moralischen Pflicht, den jungen Mann zu schützen“. Die Polizei ließ den Flüchtling und den Pfarrer in dieser Zeit unbehelligt. Müsste Klaus Dinkel nun rechtliche Konsequenzen fürchten, wenn er wieder einem Asylbewerber Schutz böte? „Dann würden wir uns mit allen juristischen Mitteln dagegen wehren“, sagte Kirchenvorstand Karl Renner. (mit dpa, kna)