Zwei zentrale Versprechen von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in der Energiepolitik geraten zunehmend ins Wanken: der bayerische Sonderweg beim Mindestabstand neuer Windräder von der Wohnbebauung. Und der Kampf gegen neue Stromtrassen.
Bereits vergangene Woche war das sogenannte „10-H-Gesetz“, das neue Windräder nur noch mit einem Mindestabstand zur Wohnbebauung in ihrer zehnfachen Höhe erlauben soll, bei einer Anhörung im Landtag schwer unter die Räder gekommen: Elf von zwölf geladenen Experten lehnten den von der CSU-Staatsregierung vorgelegten Gesetzesvorschlag ab – von den kommunalen Spitzenverbänden über Wirtschaftsvertreter bis hin zu Rechtsprofessoren.
Die Bedenken reichten dabei von möglichen Schadenersatzansprüchen über die Einschränkung der kommunalen Planungshoheit bis hin zum grundsätzlichen Einwand, mit einer De-facto-Verhinderung neuer Windräder die Energiewende abzuwürgen.
Den Dialog mit den Kritikern suchen
Mit Blick auf das Ergebnis der Anhörung forderte die SPD nun im Wirtschaftsausschuss des Landtags, das Gesetzgebungsverfahren auszusetzen und mit den Kritikern den Dialog zu suchen: „Allein der Respekt gebietet es, nicht so zu tun, als wäre letzte Woche nichts geschehen“, sagte die SPD-Energieexpertin Natascha Kohnen.
Doch davon wollte die CSU-Mehrheit nichts wissen: Zwar hätten die Experten „interessante Aspekte beigetragen“, räumte Ausschusschef Erwin Huber ein. Ein Aufschub wäre allerdings „ein falsches Signal“, findet der Ex-CSU-Chef. Denn eine Mehrheit für die 10-H-Regel sei „im Prinzip da“.
Das ist die Stromtrasse Süd-Ost
Die Stromtrasse (Gleichstrompassage Süd-Ost) Süd-Ost in Zahlen und Fakten.
Die Stromtrasse Süd-Ost (oder Gleichstrompassage Süd-Ost) sollte von Sachsen-Anhalt bis nach Meitingen im Landkreis Augsburg führen.
Die Hochspannungsleitung mit einer Länge von 440 Kilometern sollte Strom aus den Windparks in Nord- und Ostddeutschland nach Bayern transportieren.
In unserer Region hätte die Trasse durch die Landkreise Neuburg-Schrobenhausen, Donau-Ries und Augsburg führen sollen.
Das Projekt sollte 2022 abgeschlossen sein.
Die Kosten der Trasse hätten sich auf über eine Milliarde Euro belaufen.
Gebaut werden sollte die Trasse von den Konzernen Amprion und 50Hertz.
Der genaue Trassenverlauf war noch nicht festgelegt. Es gab mehrere mögliche Varianten.
Im Sommer 2014 verkündete die bayerische Staatsregierung, dass die Trasse nicht komme, sondern eine neue Route gesucht werde.
Unbeeindruckt scheint die CSU von der Massivität des Widerstands aber nicht zu sein: So soll noch einmal über einen verbesserten Bestandsschutz für sogenannte Konzentrationsflächen in existierenden Flächennutzungsplänen diskutiert werden. Dort sind nach bisherigem Recht Windräder erlaubt. Und auch das Vetorecht der Nachbargemeinden gegen Windräder soll noch einmal auf den Prüfstand.
Ministerpräsident muss seine Pläne verteidigen
Seehofer selbst musste seine 10-H-Pläne am Donnerstag auf der Versammlung des Städtetags in Altötting gegen Kritik verteidigen. Städtetagspräsident Ulrich Maly (SPD) warf ihm vor, mit der 10-H-Initiative die Debatte unnötig aufgeheizt zu haben. Davor sei die Diskussion mit den Bürgern „weitgehend friedlich verlaufen“, kritisierte Maly. Spätestens in drei Jahren werde die Kritik an der Abstandsregel verstummt sein, entgegnete Seehofer.
Auf dem Rückzug befindet sich der Ministerpräsident zudem beim Kampf gegen neue Stromtrassen in Bayern: Bei internen Treffen mit Wirtschaftsvertretern soll er zuletzt einen gebündelten Trassenverlauf mit Autobahnen, etwa mit der A9, ins Spiel gebracht haben.
Der Druck auf Seehofer ist gewaltig: So wird auch in der Staatsregierung bereits seit geraumer Zeit gewarnt, Bayern könnte ohne neue Leitungen im Vergleich mit dem übrigen Deutschland bei den Strompreisen ins Hintertreffen geraten.
Über eine neue Trasse wird intensiv verhandelt
Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hat einen möglichen Ausweg aus Seehofers Trassen-Dilemma bereits skizziert: Die umstrittene Süd-Ost-Passage aus dem ostdeutschen Braunkohlerevier ins schwäbische Meitingen werde „definitiv nicht kommen“.
Dies sei in Berlin bereits ausgehandelt. Alternativ soll es aber eine andere Leitung geben, die norddeutschen Ökostrom auf verträglicherem Weg nach Südbayern bringt. Über Details einer neuen Trasse wird laut Aigner in Berlin derzeit intensiv verhandelt.
„Positiv erledigt“ hat sich damit die Petition der Freien Wähler gegen die Trasse nach Meitingen, die von exakt 21853 Bürgern unterschrieben worden war und gestern vom Landtagsabgeordneten Bernhard Pohl im Wirtschaftsausschuss vorgelegt wurde. Bereits Anfang Juni hatte der Landtag beschlossen, diese Trasse abzulehnen.