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Olympia-Attentat 1972: Als Kripo-Heinz in München Terroristen jagen sollte

Olympia-Attentat 1972

Als Kripo-Heinz in München Terroristen jagen sollte

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    Heinz Hohensinn, Sonderfahnder München Olymische Spiele 1972.
    Heinz Hohensinn, Sonderfahnder München Olymische Spiele 1972. Foto: Holger Sabinsky

    Noch heute kann Heinz Hohensinn den Geruch von altem Frittier-Fett nicht ertragen. Zu oft, zu lange ist er in den Nächten als Sonderfahnder in München umhergestreunt, immer auf der Suche nach kleinen und großen Verbrechern. Immer unterwegs in den Straßen, den Puffs und den Spielkasinos in der Innenstadt. Zu essen bekamen der „Kripo-Heinz“, wie ihn alle nannten, und seine Kollegen damals nur an Imbissbuden und im Hauptbahnhof. Damals, im München der 60er und 70er Jahre war Hohensinn ein Ganovenschreck. Auf mehr als 2000 Festnahmen brachte er es in seiner Karriere. Die Zuhälter fürchteten und achteten ihn, den Inspektor aus dem Dezernat für organisierte Kriminalität. Er galt als durchsetzungsstark und entscheidungsfreudig. Er spielte Fußball in der Landesliga bei Wacker Burghausen, er betrieb Allkampf. Er war fit. Einer, der nicht lange fackelt. Seine Methoden: hart, altmodisch und effektiv. Seine Markenzeichen: Längeres Haar, Schnauzbart und immer eine Derringer-Pistole an der Wade, falls er „obenrum einmal entwaffnet wird“. So war er, der „Kripo-Heinz“. Er war der Größte.

    Auf den Dächern des Olympischen Dorfes

    Und dann auf einmal war er eine tragische Nummer, ein Hanswurst im zu engen Trainingsanzug, der sich weltweit blamierte, als er am 5. September 1972 mit seinen Kollegen auf die Dächer des olympischen Dorfes schlich, um die palästinensischen Attentäter zu überwältigen. Ein Fernsehteam übertrug die Bemühungen der überforderten deutschen Polizei live in die ganze Welt. Der Einsatz im Olympia-Dorf wurde abgebrochen. Die Geiselnahme sollte in der Nacht auf tragischste Weise enden. 40 Jahre später steht Heinz Hohensinn vor dem Haus in der Connollystraße 31 in München. Den Schnauzer trägt er immer noch. Der 70-Jährige wirkt fit. Er ist braun gebrannt. „Hier hat alles angefangen“, sagt er. Und nach einer Pause: „Und hier wäre es für mich auch fast zu Ende gewesen.“ Auch die palästinensischen Kidnapper konnten im Fernsehen mitverfolgen, wie die bayerischen Polizisten sich anschleichen wollten. Hohensinn war der Leiter der Truppe auf dem Dach. Auf Zuruf hätten sich die Beamten durch die Luftschächte abseilen und sich den Weg freischießen sollen. Ein bizarrer Plan. „Es hätte ein Blutbad gegeben, die hätten uns abgeknallt wie die Hasen“, sagt Hohensinn heute. Kaum einer kann so gut nachvollziehen, wie groß das Chaos und die Ratlosigkeit bei den deutschen Sicherheitsbehörden tatsächlich war. Denn er war mittendrin. Bereits Wochen vor Eröffnung der „heiteren Spiele“ von München wird Hohensinn einer Einheit zugewiesen, die für die Sicherheit in der Stadt während Olympia zuständig ist. „Wir sind zu acht in Kleinbussen wie Rollkommandos durch die Stadt gefahren und haben aufgeräumt.“ Die Kriminalitätsrate sinkt zu dieser Zeit sogar entgegen den Befürchtungen. Zuhälter wie der „Metzger-Karre“ beschweren sich, dass sie mehrmals am Tag kontrolliert wurden. Hohensinn und seine Kollegen haben mit ihren Schimanski-artigen Methoden die Lage im Griff.

    In voller Bewaffnung

    Die Olympischen Spiele von 1896 bis 2012

    1896: Athen

    1900: Paris

    1904: St. Louis

    1908: London

    1912: Stockholm

    1916: Ausgefallen wegen des 1. weltkrieges

    1920: Antwerpen

    1924: Paris

    1928: Amsterdam

    1932: Los Angeles

    1936: Berlin

    1940: Ausgefallen wegen des 2. Weltkrieges

    1944: Ausgefallen wegen des 2. Weltkrieges

    1948: London

    1952: Helsinki

    1956: Melbourne

    1960: Rom

    1964: Tokio

    1968: Mexiko-Stadt

    1972: München

    1976: Montreal

    1980: Moskau

    1984: London

    1988: Seoul

    1992: Barcelona

    1996: Atlanta

    2000: Sydney

    2004: Athen

    2008: Peking

    2012: London

    Bis zum 5. September. Morgens um halb Sieben wird „Kripo-Heinz“ aus dem Bett geschmissen – „nach eineinhalb Stunden Schlaf“. Sein Einsatzbefehl: Er soll sofort in voller Bewaffnung ins olympische Dorf kommen. Was passiert ist, erfährt er erst später. Dass es etwas ganz Fürchterliches ist, ahnt er. Denn bis dahin war Waffenträgern der Zutritt zum Dorf verboten. „Deutschland wollte das Image von Stahlhelm und Karabiner ablegen“, sagt Hohensinn. Das Ende des Zweiten Weltkriegs war erst 27 Jahre her. Die Polizisten auf dem Olympiagelände tragen himmelblaue Uniformen. Gegen 4.35 Uhr sind acht palästinensische Terroristen ins Quartier der israelischen Olympia-Mannschaft in der Connollystraße 31 eingedrungen, bewaffnet mit Maschinenpistolen und Handgranaten. Sie haben bereits Moshe Weinberg, den Ringertrainer, bei einem Fluchtversuch erschossen. Den Gewichtheber Josef Romano lassen sie verbluten. Die meinen es ernst. Die Terroristen verlangen die Freilassung von 234 in Israel gefangenen Palästinensern sowie der inhaftierten deutschen RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof, zudem die ungehinderte Ausreise in eine arabische Stadt.

    Der Krisenstab um Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher und dem aus Günzburg stammenden bayerischen Innenminister Bruno Merk verhandelt. Das Ultimatum wird hinausgeschoben. Israel lässt ausrichten, es lasse sich niemals von Terroristen erpressen. Die Lage ist aussichtslos. Die Einsatzleitung will losschlagen. Hohensinn und seine Kollegen bekommen Trainingsanzüge, Panzerwesten und Uzi-Maschinenpistolen ausgehändigt. „Eine halbe Stunde vor Ablauf des Ultimatums wurden wir auf das Dach des dreigeschossigen Betonbaus geschickt“, erzählt der Ex-Polizist. Dort sollen sie ein Gitter abschrauben, sich an Seilen durch den Luftschacht herablassen und die Araber ausschalten.

    Als Anti-Terror-Einheit sind sie blutige Anfänger

    Da turnen sie also in ihren grotesken Verkleidungen auf dem Dach herum und warten auf das vereinbarte Codewort „Sonnenschein“ für den Sturmangriff. Der „Kripo-Heinz“ und seine Kollegen. Als Sonderfahnder waren sie die Größten. Als Anti-Terror-Einheit sind sie blutige Anfänger. Spezialkräfte gab es damals in Deutschland nicht. Die GSG 9 wird später genau wegen solcher Ereignisse gegründet. „Hätten Sie Kriminaltechniker schicken sollen, die ihre Pistole im Brotzeitbeutel hatten?“, fragt Hohensinn.

    Natürlich nicht. Die furchtlosen Sonderfahnder sind die Besten, die sie haben. Deshalb müssen sie aufs Dach. „Wir wussten von Anfang an, dass das einige Nummern zu groß war für uns. Wir waren dieser Aufgabe nicht gewachsen“, berichtet Hohensinn. „Mit unserer mangelhaften Ausrüstung haben wir uns gefühlt, wie Bergsteiger in Badelatschen am Himalaja.“ Aus heutiger Sicht, da jedes Zweitliga-Fußballspiel ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept hat, wirken die Vorgänge von 1972 naiv und gefährlich.

    Heinz Hohensinn steht vor dem marmornen Gedenkstein in der Connollystraße 31, auf dem die Namen von elf getöteten Israelis graviert sind. „Keiner war auf so etwas vorbereitet“, sagt er. Ein Polizeiberater hat vor den Spielen verschiedene polizeiliche Szenarien ausgearbeitet. „Fall 26“ schilderte einen Palästinenser-Anschlag. Aber niemand hielt das für realistisch.

    Und nun steht der „Kripo-Heinz“ oben am Dach und wartet. Ein Bekannter ruft währenddessen Hohensinns Frau an und sagt: „Du, der Heinz ist im Fernsehen.“ Frau Hohensinn schaltet den Apparat ein und kippt fast um vor Schreck. Unten auf dem Balkon zeigt sich immer wieder der Anführer der Palästinenser, genannt „Issa“ im hellen Anzug mit Tropenhut. Ein Terrorist im Karnevalskostüm.

    Irgendwann erreicht die Polizeitruppe auf dem Dach die Meldung, dass Israel eine Anti-Terror-Einheit schicken werde. „Wir waren froh, weil wir dachten, die haben Erfahrung, für die ist doch jeden Tag Krieg“, erinnert sich der Sonderfahnder. Aber die Spezialeinheit kommt nicht. Die Deutschen sind auf sich allein gestellt. Und sie sind überfordert.

    Die Sicherheitsbehörden fassen einen verzweifelten Entschluss: Sie wollen zum Schein auf die Bedingungen der Geiselnehmer eingehen und sie vor dem Abflug überwältigen. Um 22.06 Uhr fahren die Attentäter mit ihren Gefangenen in einem Bus zu zwei bereitgestellten Hubschraubern des Bundesgrenzschutzes. „Erst da wussten wir, dass es sich um acht Terroristen handelt“, erzählt Hohensinn.

    "Ein Himmelfahrtskommando am Tag reicht mir"

    Um 22.35 Uhr landen die Helikopter am Militärflughafen in Fürstenfeldbruck. In 100 Meter Entfernung steht eine Boeing 727 bereit. Heinz Hohensinn und sein Team haben die Maschine unmittelbar zuvor verlassen. Sie hatten den Auftrag von der Einsatzleitung, die Attentäter als Stewards verkleidet im Flugzeug zu überwältigen. Diesen Einsatz lehnen Hohensinn und seine Leute wegen des unkalkulierbaren Risikos ab. „Ich sagte: Ein Himmelfahrtskommando am Tag reicht mir“, berichtet Hohensinn. Nachdem zwei der Palästinenser die Boeing inspiziert haben, eröffnen die Scharfschützen das Feuer. Auch Hohensinns Leute feuern. Doch statt eines raschen Erfolgs gibt es einen fast eineinhalb Stunden dauernden Schusswechsel. „Mein Kollege Anton Fliegerbauer brach plötzlich tot zusammen. Eine Kugel hatte ihn zwischen die Augen getroffen“, berichtet Hohensinn. Kurz nach Mitternacht wirft ein Terrorist eine Handgranate in einen der Hubschrauber mit Geiseln. Der explodiert in einem gewaltigen Feuerball. Ein anderer erschießt die Geiseln im anderen Helikopter. Gegen halb zwei ist es auf einmal ganz still. Heinz Hohensinn muss das Flugfeld inspizieren. Plötzlich warnt ihn ein Kollege: „Heinz, da leben noch welche!“ Drei Attentäter, komplett mit Löschschaum bedeckt, haben sich tot gestellt. Die Bilanz des Einsatzes: Elf tote Geiseln, fünf tote Attentäter, ein toter Polizist. Bundeskanzler Willy Brandt nennt die missglückte Befreiungsaktion kurz darauf ein „erschreckendes Dokument deutscher Unfähigkeit“. Und er war mittendrin. Heinz Hohensinn fährt spätnachts nach Hause, setzt sich in die Küche und schweigt. Er beginnt, sich Fragen zu stellen: Hat er Menschen auf dem Gewissen? Hat er alles richtig gemacht? „Vielleicht wäre es anders gelaufen, wenn wir besser für solche Einsätze ausgebildet gewesen wären und bessere Ausrüstung gehabt hätten. Heute schießen Scharfschützen jemandem im Dunkeln aus 800 Meter eine Münze aus der Hand.“ Hohensinn hat gelernt, sich mit dieser Erklärung für die Katastrophe zu arrangieren. 1987 scheidet er aus dem Polizeidienst aus und gründet eine Privatdetektei mit Büros in München und Kitzbühel. Freie Mitarbeiter ermitteln in seinem Auftrag gegen Seitenspringer, Wirtschaftskriminelle, Heiratsschwindler oder Versicherungsbetrüger. Auf seiner Karte steht „Sicherheit auch nur vom Fachmann“. Hohensinn bezeichnet sich als „Kriminal-Hauptkommissar a. D., Undercover-Agent und Polizeischulreferent a. D.“ Der „Kripo-Heinz“ ist keiner, der sich in Selbstzweifeln zerfleischt. Begriffe wie Trauma kommen ihm nicht in den Sinn, wenn er an München ’72 denkt. „Aber ganz vergessen kann ich das alles auch nicht.“

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