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Kurzkritik: Tristan und Isolde: Staatsopernhafter Jubel in Augsburg

Kurzkritik

Tristan und Isolde: Staatsopernhafter Jubel in Augsburg

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    Tristan und Isolde am Augsburger Theater.
    Tristan und Isolde am Augsburger Theater. Foto: A.T. Schaefer

    Gibt es das, dass ein Komponist sich Mittelmäßigkeit wünscht für die Aufführung einer eigenen Oper, die ihm zudem – durchaus ichbewusst – als ein gelungenes „Wunder“ erscheint?

    Das gibt es. Kurz nach der Fixierung jenes H-Dur-Akkords, der die stundenlang unaufgelöste Handlung „Tristan und Isolde“ verklärend beschließt, schrieb Wagner: „Nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten!“ Denn: „Ich fürchte, die Oper wird verboten ... Vollständig gute [Wiedergaben] müssen die Leute verrückt machen“ – falls nicht durch schlechte Aufführung das Ganze sowieso parodiert werde. Das war von Wagner sicherlich nicht hundertprozentig wörtlich gemeint, aber wie man weiß, steckt in jedem geistreichen Scherz ein gerüttelt Maß an Ernst.

    Und so stellt sich nun, nach der Augsburger Premiere von „Tristan und Isolde“, die Frage: War die Neuproduktion eine Parodie oder die ersehnte Mittelmäßigkeit oder ein das Publikum irrmachendes Wunder? Die Antwort: Dem Theater Augsburg, das im vergangenen Jahrzehnt nicht eben verwöhnte mit Wagner, gelang ein Sonderweg, ein kleines Wunder – hernach geradezu überschüttet von Ovationen für die Solisten, die Philharmoniker, den Dirigenten, als ob man sich in München, Paris oder London befände. Dann aber strebte das Publikum doch gefasst nach Hause; die Regie hatte es nicht verrückt werden lassen.

    Worin nun genau lag das kleine Wunder? Es lag im Erfassen des vage-vieldeutigen Tons dieser Oper, im Erfassen des unerfüllten, sehnenden, zwielichten „Tristan“-Tons. Den Philharmonikern gelang es unter Dirk Kaftan – sowohl interpretatorisch als auch technisch überzeugend – in die Rolle eines Handlungsträgers zu schlüpfen; ja sie taten gleichsam das, was Wagner 1858/1859 auch tat: sich „symphonisch auszurasen“. Fast nebensächlich bleibt da, wie unwiderstehlich sämig-sonor die Celli schon in der Einleitung erklangen, wie intonationssicher das Holz, wie schicksalsschwarz darin das Englischhorn und die Bassklarinette. Entscheidend vielmehr war, wie die Philharmoniker unter Kaftan die musikalische Suggestivkraft immer wieder neu nach den kompositorischen „Zusammenbrüchen“ der Partitur aufbauten.

    Ehebruch in König Markes Garten

    Mag auch das Finale des ersten Aufzugs zu plakativ-direkt musiziert worden sein und der Beginn des zweiten zu stürmisch – wodurch Unruhe und Fahrigkeit folgten: In den drei übrigen Stunden des Abends schaukelte sich das Orchester emphatisch auf. Untergründig brodelte es während der Schifffahrt nach Kornwall, düster ertönten Tristans erinnerungsschwere und fiebrige Phantasien vor der Burg Kareol, ja, und in der wohl längsten Liebesszene, die die Operngeschichte kennt, in König Markes Garten, changierte der rauschende Orchesterstrom ebenso narkotisierend wie bewusstseinserweiternd. Triebmusik steigert sich hier bis zu einem Erregungspunkt, auf dem es für Tristan und Isolde physiologisch kein Zurück mehr gibt. Dies so umgesetzt zu haben, ist besagtes kleines Wunder. Die Philharmoniker und der klug disponierende Dirk Kaftan können sich gegenseitig gratulieren.

    Dazu kommt Christiane Libor als Isolde. Hat einer schon etliche Isolden mit forciertem, vibratoübersättigtem Sopran gehört, dann ist er umso dankbarer dafür, was ihm Libor als Gast am Theater Augsburg bietet: klare Linie, klare Kontur, nicht sonderlich farbwandlungsfähiges, aber bemerkenswert wohltönendes Timbre – und Kraft, Energie, fast über drei Aufzüge hinweg. Klasse.

    Die berühmte schiefe Ebene

    Das Augsburg-Gewächs Gerhard Siegel, weltbekannt als Mime (Bayreuth, London, New York), hier nun „Tristan“-Debütant, teilte probierend und verantwortungsvoll sich selbst gegenüber erst einmal seine Kräfte ein. Profiliert gestaltete er stimmreine Gesangsbögen, profiliert prononcierte er. Eine Wohltat auch in Sachen Sicherheit. Durchschlagskraft im Brustregister müsste nun noch dazukommen. Gleichwohl ist Augsburg um diesen Tristan zu beneiden. Und Bayreuth hat aufzupassen, wie Siegel sich entwickelt. Dort waren schon weniger gute Tenöre – als er einer ist – zu hören.

    Bleiben als eindrücklich des Weiteren zu erwähnen: Kerstin Descher als warm flutende Brangäne, Guido Jentjens als menschlich bewegender König Marke, Jan Friedrich Eggers als markanter Melot, Stephen Owen (Kurwenal) auf gutem Weg, an Plastizität zu gewinnen.

    Der musikalischen Wucht über weite Strecken stand eine diskrete bis konventionelle Personenregie (Rosamund Gilmore) gegenüber. Auf breitem Steg, der im ersten Aufzug quasi als Schiffsbug in See und Bühnentiefe sticht, dann, im zweiten Aufzug als teils angehobene Burg-Zugbrücke das Liebespaar auf die berüchtigte schiefe Ebene bringt, schließlich im dritten Akt als Burghof mit angeschwemmtem Treibholz funktioniert (Bühne: Carl Friedrich Oberle), auf diesem breiten Steg also setzt Rosamund Gilmore nur wenige einprägsame Handlungszeichen. Ein sarkastisches Tänzchen Isoldes gehört dazu und ein ebenso sarkastisches Improvisationsspiel, wie Tristan sie als Braut bei König Marke einführen könne. Dann im zweiten Aufzug umschleichen sich Isolde und Tristan lange – eine Scheuheit im Blickkontakt bleibt bestehen – trotz Liebestrank, trotz Manteltausch (Kostüme: Monika Staykova). Der dritte Aufzug aber bringt nicht sonderlich mehr als stereotype Schmerzens- und Verzweiflungsgestik. Schwanken, Krümmen, Zucken, Zusammenbrechen – Tristan dekliniert das mehrfach durch.

    Kommen noch die Filmeinblendungen im Hintergrund hinzu (A.T. Schaefer). Mitunter korrespondieren sie optisch ansprechend mit dem Strom des Orchesters und dem Gedankenstrom der Protagonisten, mitunter bleiben sie beliebig bzw. lediglich illustrativ. Bezugreich aber die Einblendung der venezianischen Kirche Il Retendore mit vorbeiziehendem Ozeankreuzschiff. Hier, in Venedig, komponierte Wagner des zweiten  Aufzugs „höchste Liebeslust“.

    Nächste Aufführungen 20. und 27. März, 16. und 22. April

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