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„divertimento4Amadeus“: Die Adern der Musik

„divertimento4Amadeus“

Die Adern der Musik

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    Mozart tanzte – in Person von Nathon Griswold. Zu geschliffener Musik, im stilisierten Wald aus Schleifen und Stäben, begleitet von vier Gesangssolistinnen.
    Mozart tanzte – in Person von Nathon Griswold. Zu geschliffener Musik, im stilisierten Wald aus Schleifen und Stäben, begleitet von vier Gesangssolistinnen. Foto: Nik Schölzel/Theater Augsburg

    Immer noch staunt man über den Göttlichen, nach dessen kurzem irdischen Aufenthalt die Musikwelt eine andere geworden ist: Mozart. Immer wieder will man ihn greifen, begreifen. Das Wunderkind war doch auch ein Mensch. Milos Formans „Amadeus“-Film rückte ihm auf den Leib: Mozart, das ungebärdige Kind, der Faun, der fremdbestimmt von genialen Einfällen geschüttelt wird. Dann gibt es die harte Tour, den flügelleichten Genius vom marmorweißen Podest herunterzuholen und die Briefe ans Bäsle auszuwerten, deren derb-obszöne Sprache ihn als Allzumenschlichen ausweist.

    Auch Kevin O’Day kreist in seinem am Theater Augsburg uraufgeführten „divertimento4Amadeus“ Mozart auf der menschlichen Seite ein. Doch ist die Annäherung musikalisch inspiriert und respektvoll, auch wenn der ebenso deftige Kanon „Bona nox!“ eine eben kleine Rolle spielt. Er baut seine Huldigung mit einer Auswahl unterschiedlicher Werke auf: Vokales, Kammer- und Orchestermusik, live gespielt von den Philharmonikern, dazu dosiert elektronisch Verfremdetes.

    Der Beginn nimmt das Ende vorweg: Zum Kanon „Lacrimosa“ wird ein Mensch, ein Tänzer, dem vorher der Kapellmeister symbolisch das verträumt geklimperte Banjo aus der Hand genommen hat, im dunklen Aufbahrungsritual weggetragen. Wie in Rückblende leuchten dann zwei Akte das Mozart-Dasein aus. Die Stimmungslandschaften des Klarinettenquintetts sind bevölkert vom Personal des Corps. Da werden Paare, Gruppen, das Ensemble geschmeidig zusammengeführt und aufgelöst, erlebt man ironisiertes Balzverhalten und Nähe suchende Figurationen, da gibt es einen Wettbewerb, wer am besten springen und pirouettieren kann … Die Musik bricht ab, die Bühne fällt ins Dunkle, Schatten umkreisen den sich windenden Tänzer, der vorher versucht hat, sich ins quirlende Leben einzugliedern. Aus Flüsterfetzen wird der „Bona nox!“-Text des Kanons, verdichtet sich zur fäkalen Einschlafformel „… scheiß ins Bett, daß’ kracht“. Ob Mozart diese Seite als albtraumhaft empfunden hat, sei dahingestellt – doch effektvoll ist so die Doppelbödigkeit zwischen kunstvoller musikalischer Arabeske und menschlicher Komponente ins Bild gerückt.

    Der zweite Akt geht der Sinfonia concertante nach, worin sich Violine und Viola umspielen (Agnes Malich und Chialong Tsai), was tänzerisch ein spannungsvoll abgestuftes Szenario von Mann und Frau, Harmonie und Vergeblichkeit auslöst. Schließlich führt die Arie „Ruhe sanft mein holdes Leben“ aus „Zaïde“ (Susanne Simenec) die Aufregungen des Lebens zurück in die geordnete Ästhetik der Musik – der Sturm der Liebe ebbt ruhig ab.

    Kanon-Jagd und Moll-Absturz werden hier Lebenssituationen

    O’Day erlebt die Schönheiten, innere Logik, Farben und Organisation Mozart’scher Musik nicht (nur) durch das genießende Ohr, nicht aus der Warte des wissenschaftlichen Fachmanns, sondern spürt den körperlich-tänzerischen Impuls, die Adern der Musik auf. Themen, komplizierte Durchführungen, Harmoniewechsel, Kanon-Jagden, Kontraste aus süßer Melodie und Moll-Absturz sind nicht Bauteile, sondern Lebenssituationen, immanente Theaterszenen. O’Day lässt die Tänzer zwischen klassischem Vokabular (auch auf Spitze), neuem Ausdruck und neoklassischer Bildhaftigkeit gleiten. Sie sind in teils einfach wallende Stoffe, teils körpernahe Trikots gehüllt. Mit wechselnden Farben durchmischt Ausstatter Thomas Mika die Zuordnungen, löst sie immer wieder auf – und so irrt der Tänzer, Mozart (Nathan Griswold), durchs Leben.

    Die Rokoko-Basis vereinfacht Mika durch übergroße Schleifen und filigranen Stabwald, wodurch sich eine aparte, von Figuren durchhuschte Atmosphäre ergibt. Eingebaut ins flinke Tanzpersonal sind die gerüscht gekleideten vier Gesangssolistinnen. Eberhard Fritsche und seine Solisten bezaubern durch eine atmende, brillant geschliffene Musik aus dem Graben. Mozart tanzte.

    Nächste Vorstellungen am 30. Oktober, am 7., 10., 25. November sowie am 6., 9., 14., 22., 28. Dezember.

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