Hans Jagdhuber braucht im Normalfall nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen. Nicht am Schachbrett, wenn er seinen Gegner mit einem mutigen Zug unter Druck setzen will. Und auch nicht bei der Frage, ob er es sich zutrauen würde, als erster blinder Spieler am Internationalen Meisterturnier in Augsburg teilzunehmen. Dabei hatte Turnierorganisator Johannes Pitl erst kurz vor der ersten Runde bei dem Regionalliga-Spieler des SK Rochade Augsburg angefragt, weil ein anderer Teilnehmer überraschend ausgefallen war. Jagdhuber zögerte nicht lange und sagte zu.
So nimmt der blinde Gögginger nun erstmals an diesem zehntägigen Traditionsturnier über den Jahreswechsel teil, auch wenn ihm die Konkurrenz in der reinen Spielstärke um bis zu 100 ELO-Punkte überlegen ist. Doch Jagdhuber hat keine Scheu und nimmt die Herausforderung mit viel Optimismus und Humor an. „Wir schauen einfach mal, was rauskommt. Vielleicht hat Herr Pitl ja nur ein Opferlamm gebraucht“, scherzt Jagdhuber gut gelaunt, als er sich im Schachraum des Hotels Ibis in der Hermannstraße zur ersten Partie einfindet. Johannes Pitl ist schon vor dem ersten Zug voll des Lobes über den Kampfgeist des Augsburgers. „Ich habe auch andere Schachspieler angefragt, aber die haben sich das nicht zugetraut“, sagt Pitl. Umso mehr Respekt habe er vor Jagdhuber.
Der baut vor jeder Partie mit geübten Griffen seine Spezialausrüstung auf. Ein Spiel auf herkömmlichen Schachbrettern, auf denen die Figuren geschoben werden, ist für Jagdhuber nur unter großer Anstrengung möglich. Denn an einem solchen Brett besagen die Regeln, dass ein Spieler, der eine Schachfigur berührt, diese auch ziehen muss. Jagdhuber aber will natürlich erst einmal die Stellung der verschiedenen Figuren erfühlen und sie sich einprägen, bevor er sich für einen Zug entscheidet.
Deshalb bringt er zu jedem Turnier sein eigenes Schachbrett mit. Ein kleines, filigranes Steckbrett, dessen schwarze Felder leicht erhöht sind und dessen schwarze Figuren kleine Metallstifte tragen. So kann Jagdhuber alle einzelnen Elemente auf dem Brett erfühlen, die Partie mitstecken und in Ruhe seine Entscheidungen treffen.
Hat er sich einen Zug überlegt, teilt er diesen seinem Gegenspieler mit, der dann alle Züge auf dem Originalbrett zieht. „Natürlich ist es für mich schwieriger zu spielen. Meine Gegner können alles sehen, während ich mir die Stellungen merken muss“, sagt Jagdhuber, der sich in seinem Ehrenamt als Sportreferent beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund ebenfalls mit viel Herzblut für das Schachspielen einsetzt.
Mit 17 Jahren ist Hans Jagdhuber durch einen Unfall erblindet. Danach wurde in der Blindenschule in München sein Schachtalent entdeckt und gefördert. So gut, dass er in seiner Karriere bereits mehrfacher bayerischer Meister im Turnier- und Schnellschach und bei den Senioren schon deutscher Meister geworden ist.
In jeder Turnierpartie verbindet sich Jagdhuber per Kopfhörer mit seiner Digital-Uhr, die ihm die Zeit ansagt, die ihm für seine Züge noch bleibt. Ein wichtiger Faktor für alle Spieler, schließlich haben sie beim Augsburger Meisterturnier für die ersten 40 Züge exakt zwei Stunden Zeit, für die nächsten 20 Züge eine Stunde und für den Rest 30 Minuten. So weiß auch Jagdhuber Bescheid über sein Zeitkontingent.
Obwohl die Technik mittlerweile sehr ausgefeilt ist, bleibt seine Partnerin Monika Liebhart während eines Turniers immer an seiner Seite. „Sprechen darf ich während der Partie natürlich nicht, das ist verboten. Ich könnte ihm beim Spiel aber eh nicht helfen“, sagt sie lächelnd. Doch sie unterstützt Jagdhuber in der Vorbereitung, stellt die Namensschilder korrekt auf, reicht ihm Getränke oder überwacht die Schach-Ausrüstung.
In seiner ersten Partie trifft der Turnier-Neuling auf Fide-Meister Wolfgang Mack von der TG Biberach. Beide haben noch nicht gegeneinander gespielt, doch vor einigen Jahren sind ihre Mannschaften schon gegeneinander angetreten. Jagdhuber mit dem SK Rochade Augsburg, Mack damals noch mit dem BC Aichach. Im ersten direkten Duell hält Jagdhuber dann auch lange mit und muss sich erst in der Schlussphase seinem Gegner beugen.