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Lesen: Wenn die eigene Welt sich dreht

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Wenn die eigene Welt sich dreht

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    Dieser riesige Fliegenpilz steht auf einem Spielplatz südlich von Augsburg. Die Schriftstellerin Eva Roman hat ihn in ihren Roman eingebaut.
    Dieser riesige Fliegenpilz steht auf einem Spielplatz südlich von Augsburg. Die Schriftstellerin Eva Roman hat ihn in ihren Roman eingebaut. Foto: Fred Schöllhorn

    … Erst in der Stille, am Zaun der Waldgaststätte, fällt ihr auf, dass im Biergarten die Kastanienknospen aufgesprungen sind, Jeanne lässt den Leiterwagen auf der Straße stehen und betritt den knirschenden Kies, um eine der mächtigen Knospen aus der Nähe zu betrachten. Von unten blickt sie in die hellgrünen Blätter, sieht sie bald dunkelgrün werden, sommerdunkel, sieht Menschen, die auf Bänken unter den alten Bäumen sitzen werden, sieht Sommerabende, aber mit wem sollte sie hier sitzen? Hier hat sie mit Welf gesessen, auf die Zukunft getrunken, auf das Gutshaus, auch auf das Leben, von dem sie mehr Gerechtigkeit erwartet hatte. Sie wird den ganzen Sommer lang alleine sein, diesen, den nächsten, den übernächsten …

    Die Waldgaststätte, vis-à-vis die Obstbäume auf dem Grundstück der abgerissenen Bäckerei, gleich nebenan die alte Schule, die seit Jahrzehnten leer gestanden ist, Gutshäuser – erkennen Sie es? Wissen Sie, wo wir uns befinden?

    Es ist Siebenbrunn. „Dieses vom Wald verschlungene Dorf.“ Diese grüne Idylle südlich von Augsburg, die nicht nur Naturliebhaber anzieht, sondern auch spannende Geschichten von früheren Fabriken, einer Arbeitersiedlung und geheimnisvollen Bädern birgt. „Ein poetischer Ort“, sagt Eva Roman, die dem Zauber der von dichtem, sattem Grün umgebenen Wege, verschlungener Bachläufe, alter Brücken und nicht selten verlassen wirkender Häuser seit Kindertagen erlegen ist. Springt heute neben der 34-Jährigen ihr schwarzer Münsterländer-Mischlingsrüde Artaud, so war es damals zu Schulzeiten der Nachbarshund, der ihr Geleitschutz gab. Aufgewachsen in den Augsburger Stadtteilen Haunstetten und später im Univiertel, fand sie im nahe gelegenen Siebenbrunn schon immer das, was sie suchte: Natur, Ruhe, Tiere.

    Diese prägenden Erinnerungen wollte sie erhalten und verortete ihren schmalen, in einer klaren Sprache spannend erzählten Debütroman exakt in die verwunschen wirkenden Wege von Siebenbrunn. Hier zwischen Alleen, unbelebten Spielplätzen und weiten Wiesen baut Eva Roman eine melancholische Stimmung auf, in der sie gleich mehrere Frauen um ihr seelisches Gleichgewicht ringen lässt. Da ist zum einen Jeanne. Eine von der Trauer um ihren Lebenspartner aus der Bahn geworfene Archivarin. Eigentlich heißt Jeanne Johanna. Doch Welf, ihr verstorbener Lebensgefährte, fand die französische Variante nach einer Einzugsparty ins elterliche Gutshaus, die in Anlehnung an Marcel Proust unter dem Motto „Sommer in Combray“ gefeiert wurde, passender. Aber: „Ist sie noch Jeanne ohne Welf?“ Versprüht das Gutshaus ohne Welf noch die reizvolle Noblesse alter Herrschaftshäuser? Oder ist es einfach eine renovierungsbedürftige, kalte Burg, in der selbst ein heißes Bad nur mittels Briketts und Wasser vom Herd möglich wird? Und was tun gegen das Alleinsein, „diesen Nährboden der Angst, bis sie zur Panik wächst?“

    Gerade mit der letzten Frage ist plötzlich nicht nur Jeanne, sondern auch die Mutter von Welf konfrontiert. Gertrud. Eine Frau, die nach dem Tod ihres Sohnes auch die Trennung von ihrem Ehemann, und damit den Verlust ihres bis dahin in wohlgeordneten Verhältnissen ablaufenden Lebens, verkraften muss. Und dann ist da noch Welfs uneheliche Tochter. Eine junge Studentin auf der Suche nach einem Vaterbild. Ausgestattet mit einem Fotoapparat hält sie zwar die Schönheiten Siebenbrunns fest und findet in der Künstlerin Antonia Weißdorn eine Mentorin, doch ihren Vater kann sie damit freilich nicht fassen. Mit ihm hat sie sich einmal getroffen. In Siebenbrunn. In der Waldgaststätte.

    Dort sitzt nun Eva Roman. Der geplante Spaziergang durch Siebenbrunn ist nur kurz. Zu sehr regnet es. Passend. Denn in ihrem Roman regnet es eigentlich auch immer. Doch der Bauernhof, dessen Tiere sie früher besuchen durfte, an dem muss Halt gemacht werden. Und natürlich am Spielplatz mit dem riesigen künstlichen Fliegenpilz, der den Frauen auch im Roman Unterschlupf bei einem Unwetter gewährt. Nicht zu vergessen die alte Kastanienallee. Siebenbrunn – dieser Ort nähre die Seele, „er ist wohl- tuend“. Eva Roman sucht die poetischen Orte. Überall. Und sie macht noch heute lange Waldspaziergänge. Wie früher. Aber sie lebt nicht mehr in Augsburg, sondern in Leipzig. Doch sie fühlt sich noch als Augsburgerin und kommt regelmäßig. Ihre Mutter und ihr Bruder wohnen hier. Ihr Vater ist 2009 gestorben. Die Trauer um ihn habe sie in ihrem Debüt sicher auch versucht, zu verarbeiten, schließlich begann ihre Recherche nur ein Jahr nach seinem Tod. Und es sind gerade auch die Beschreibungen der ohnmächtigen Verzweiflung, die Jeanne durchlebt, die zu den eindrücklichsten Passagen des Romans zählen.

    Die Autorin macht keinen Hehl daraus, wie es sie schmerzt, dass es ausgerechnet ihr, die mit sechs Monaten nach Augsburg kam und die sich der Stadt und vor allem ihrem Siebenbrunn so verbunden fühlt, verwehrt ist, am Augsburger Kunstförderpreis teilzunehmen. Wichtiger ist allerdings, dass sie sich nun mit dem Schreiben auf dem richtigen Weg fühlt. Das Studium der Literaturwissenschaften brach sie nach wenigen Monaten ab. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Literatur reizte sie zu wenig. Sie studierte Kommunikationsdesign.

    Was tun, wenn das Schreiben zum Leben noch nicht reicht?

    Die Erfahrung, die Welfs Tochter im Roman macht, kennt Eva Roman. Auch sie, die früh spürte, dass sie künstlerisch arbeiten möchte, versuchte, sich mit Fotos auszudrücken. Doch das Ergebnis habe sie nicht überzeugt. Das Erzählen, das ist es, was sie erfülle. Ein Stipendium des Literarischen Colloquiums Berlin erleichtere ihr nun die Arbeit. Denn einfach ist es nicht, als junge Schriftstellerin zu leben. „Ich habe mehrere Putzjobs“, erzählt sie, die viel jünger als 34 aussieht und sich viel vom Charme eines jungen Mädchens bewahrt hat. Auch habe sie über Jahre in einem Restaurant gekocht, um Geld zu verdienen. Denn als Diplom-Designerin möchte sie nicht arbeiten. Das koste zu viel Energie und lenke sie zu sehr von ihrer Berufung, dem Schreiben, ab. Ein neuer Roman sei im Entstehen. In Augsburg ist er allerdings nicht mehr angesiedelt.

    Der Roman von Eva Roman ist im Wagenbach-Verlag erschienen und kostet 12,90 Euro. Die Autorin wird am Mittwoch, 21. Mai, 21 Uhr, im Grandhotel im Rahmen des Festivals „Just kids – Pop Poetry & Palaver“ aus ihrem Debüt lesen.

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