Augsburg

Warum ein Holocaust-Überlebender nach Augsburg zurückkehrt

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    Im vergangenen Jahr reiste der 87-jährige Pole Witold Scibak in seine Vergangenheit: zur Halle 116 im Augsburger Stadtteil Pfersee. Er wünscht sich, dass dort eine Gedenktafel angebracht wird. In dieser Woche reist er erneut nach Augsburg, um an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen.
    Im vergangenen Jahr reiste der 87-jährige Pole Witold Scibak in seine Vergangenheit: zur Halle 116 im Augsburger Stadtteil Pfersee. Er wünscht sich, dass dort eine Gedenktafel angebracht wird. In dieser Woche reist er erneut nach Augsburg, um an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen. Foto: Marcus Merk

    So lange hatte er gebraucht, sich den Geistern seiner eigenen Vergangenheit zu stellen. Fast 70 Jahre nach Kriegsende war der damals 87-jährige Witold Scibak zum ersten Mal wieder an jene Orte gekommen, die Schauplatz der schrecklichsten Monate seines Lebens waren. Im Juli vergangenen Jahres reiste er nach Horgau, Augsburg und Klimmach.

    Jetzt, kaum ein Jahr später, kommt er noch einmal zurück. Bei einer Podiumsdiskussion in der Halle 116 in Pfersee am Dienstag, 26. April, will er noch einmal von seinen Erlebnissen erzählen. Von jenen Monaten vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die er jahrzehntelang vor seiner Familie und seinen Freunden, ja irgendwie auch vor sich selbst, versteckt hatte. Außerdem hat er in Klimmach noch etwas zu tun.

    Scibak wurde nach Pfersee verlegt

    Zur falschen Zeit am falschen Ort sind der damals 16-jährige katholische Pole, seine Schwester und seine Eltern im Sommer 1944. Kurz nach dem Warschauer Aufstand werden sie aus der Heimat von den Nazis in deutsche Konzentrationslager entführt. Mutter und Schwester kommen ins KZ Ravensbrück, der Vater bleibt in Sachsenhausen und der junge Witold wird nach Bergen-Belsen verschleppt. Und dann geht es zu einem Arbeitseinsatz in den Landkreis Augsburg.

    Das Ziel ist die Blechschmiede im Wald von Horgau. Dort wollen die Nazis in den letzten Kriegsmonaten noch Düsenjäger bauen. Nur wenige Tage bleibt Witold Scibak hier. Er wird schließlich in die Halle 116 im Stadtteil Pfersee verlegt.

    Und dann kommt der Tag, an dem die deutschen Soldaten die KZ-Häftlinge Richtung Süden führen. Am nächsten Tag werden Scibak und seine Mitgefangenen von amerikanischen Soldaten in dem kleinen Ort Klimmach bei Schwabmünchen befreit. Das war der 27. April 1945.

    Scibak will einen Kissenbezug zurückgeben

    Später an diesem Tag ereignet sich etwas, weshalb es Witold Scibak nun noch einmal nach Klimmach zieht. In dem damaligen Gasthof des Ortes liegt frisch gebackenes Brot auf dem Tisch. Witold Scibak nimmt sich ein paar Laib, er steckt sie in einen Leinenbezug, den er von einem Kissen zieht, das dort zum Lüften liegt. Diesen Kissenbezug will er nun symbolisch zurückgeben. Schon bei seinem Besuch im vergangenen Jahr hatte er Adolf Guggemos kennengelernt, den Enkel der damaligen Wirtin. Der kannte die Geschichte mit den befreiten Flüchtlingen noch aus Erzählungen aus seiner Jugend.

    Dass Witold Scibak im vergangenen Sommer zum ersten Mal wieder nach Augsburg kam, war nur teilweise ein Zufall. Schon seit einigen Jahren war Scibak bereit, sich seiner Vergangenheit zu stellen, seine schrecklichen Erlebnisse auch an die jüngeren Generationen weiterzugeben.

    So besuchte er eine Ausstellung in Warschau, in der es um das ehemalige Kinderheim Markt Indersdorf ging. In dieser Einrichtung der Vereinten Nationen wurden direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Kinder von aus dem Osten verschleppten Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen untergebracht. Die ehemalige Lehrerin Anna Andlauer erforscht seit Jahrzehnten die Geschichte des Heims.

    Scibak entdeckte in einer Ausstellung ein Bild von sich

    In jener Ausstellung in Warschau sah der damals schon pensionierte ehemalige Universitätsprofessor Witold Scibak schließlich das Bild eines ernst dreinblickenden Siebzehnjährigen, nämlich von sich selbst. Mit Unterstützung seiner Enkelin Karolina und durch Vermittlung von Anna Andlauer kommt Witold Scibak schließlich zurück nach Schwaben. Anna Andlauer ist es auch, die den jetzigen Besuch des Polen in die Wege geleitet hat. Witold Scibak wünscht sich, dass an der Halle 116, in welcher er fast sieben Wochen bis zum 26. April 1945 mit Hunderten anderer Zwangsarbeiter untergebracht war, eine Gedenktafel angebracht wird, die an die Vergangenheit erinnert.

    Sein Besuch in Augsburg verleiht den Bemühungen all der Initiativen Auftrieb, die sich seit Jahren dafür einsetzen, die Halle 116 in Pfersee in einen „Lernort Frieden“ umzugestalten, hofft Dr. Bernhard Lehmann von der regionalen Arbeitsgruppe „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Auch er ist in die Organisation der Podiumsdiskussion eingebunden.

    Die Podiumsdiskussion findet in Kooperation mit der Erinnerungswerkstatt am Dienstag, 26. April, um 19 Uhr in der Halle 116 statt, Karl-Nolan-Straße, Augsburg. Der Eintritt ist frei, Spenden sind erwünscht.

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