Der Tanz als Ausdruck der Persönlichkeit kommt in der Reduktion auf nichts als den eigenen Körper nirgends so zur Geltung wie im Solotanz. Eindrucksvoll zu beobachten ist dies jedes Jahr beim Internationalen Solo-Tanz-Theater Festival in Stuttgart, dessen Preisträger dann auf Tour gehen und auch im abraxas eine Vorstellung gaben.
Die Konzentration auf das Ich ist also Programm für diesen Abend, der entsprechend reflexiv beginnt. Es scheinen Minuten zu vergehen, in denen die Tänzerin Maya Roest im Dunkeln auf einem Stuhl sitzt, sich sammelt, bevor sie sich extrem verlangsamt erhebt und über die Bühne geht. Elektronische Klänge wirken wie Hintergrundmusik, erst als sich Klaviermusik in den Vordergrund schiebt werden auch die Drehungen und Sprünge der Tänzerin schneller. Kraft und enorme Körperbeherrschung erfordert die Choreografie „The Beginning“ des Niederländers Mischa van Leeuwen (2. Preis Choreografie), die den Aufbruch zu Neuem in reduzierter, einfacher Körpersprache andeutet.
Wenn auch „Doroga – Weg“ von und mit Ioulia Plotnikova zunächst wie eine Fortsetzung des zuvor Gesehenen im Zeitraffer beginnt, entfaltet die französisch-russische Tänzerin im Laufe ihrer Choreografie eine stärkere Dynamik. Barfuß entwickelt sie eine Studie des Gehens, betont jedes Anwinkeln der Knie, Aufsetzen und Abrollen der Füße, läuft auf Zehenspitzen und besteigt imaginäre Treppen, die sie zuvor mit Handbewegungen formt. Die Bühne ist auf ein schmales Licht-Dreieck begrenzt, in dem Plotnikova ihren Weg sucht, sich am Boden windet, um die eigene Achse dreht und auf den Ellenbogen fortbewegt. Arme und Beine, Hände und Füße lösen sich in Zuckungen auf und finden sich wieder in runden, ausladenden Bewegungen. Für ihre Choreografie erhielt Ioulia Plotnikova in Stuttgart nicht nur den 3. Preis, sondern auch den Publikumspreis.
Weite Bewegungen mit Anmut und Charme
Gewinner des Festivals war die Choreografie „Grief Point“ von Sidra Bell, getanzt von Moo Kim, der ebenfalls den ersten Preis erhielt. Die Unruhe des kreativen Prozesses ist das Thema, das der Koreaner zu markantem Sprechgesang eher in Bewegungsabläufen denn zusammenhängenden Tanzfiguren verarbeitet. Lichtschnitte unterstreichen diesen Eindruck. Arme und Hände werden zum beherrschenden Motor dieser Choreografie. Mit ihnen vermisst er den Körper von oben nach unten, in kreisenden und flatternden Gesten.
Weich, fließend, fast weiblich in seinem Körperausdruck ist der Tänzer Yosuke Mino (2. Preis Tanz). Seine Choreografie „Koji“ handelt davon Masken abzulegen, ganz man selbst zu sein. In weiten Bewegungen durchmisst er den Raum, legt Anmut und Charme hinein, ist insgesamt mehr nach außen gerichtet in seiner Ausstrahlung als die anderen Tänzer des Abends, präsentiert mehr, als dass er reflektiert, und erntet damit den größten Beifall im fast ausverkauften abraxas.
Wie vielfältig die Wurzeln des modernen Tanztheaters sind, demonstriert Ahmed Soura mit seiner Choreografie „En opposition avec moi“ (3. Preis Tanz). Der aus Burkina Faso stammende Künstler beruft sich auf traditionelle afrikanische Bewegungsmuster ebenso wie auf zeitgemäßen Breakdance und setzt seiner Darbietung mit Witz und etwas Slapstick die Krone auf. Starke körperliche Präsenz zeigt Soura bis hin zu den Gesichtsmuskeln, mit denen er die erstaunlichsten Grimassen schneidet. Damit setzte der Afrikaner den Schlusspunkt eines interessanten Abends, der in großer Vielfalt und mit Experimentierfreude Einflüsse und Strömungen des zeitgenössischen Tanztheaters präsentierte.