Die Einführung eines kostenlosen Nahverkehrs, wie ihn die Bundesregierung in Gedankenspielen angestoßen hat, würde allein in Augsburg mit 48 Millionen Euro jährlich zu Buche schlagen. Die Stadtwerke nehmen diese Summe jährlich aus dem Verkauf von Fahrkarten ein – diese Summe müsste dann anders finanziert werden. Im gesamten Großraum Augsburg (Gebiet des Verkehrsverbunds AVV) kommt jährlich gar eine Summe von gut 70 Millionen Euro zusammen, die irgendwie ausgeglichen werden müsste.
Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU), der auch Vorsitzender des Bayerischen Städtetags ist, verwies am Mittwoch darauf, dass die Finanzierung ein entscheidender Punkt wäre. „Die Kommunen können gegen einen solchen Ansatz nichts haben, solange die Finanzierung dann auch aus Bundesmitteln bestritten wird – und zwar dauerhaft.“ Mit den kommunalen Spitzenverbänden sei der Vorstoß seines Wissens noch nicht erörtert worden, so Gribl, der sich momentan im Urlaub befindet.
"Verkehrsunternehmen können Gratis-Verkehr aus eigenen Mitteln nicht stemmen"
Bei den Augsburger Stadtwerken sieht man die Thematik differenziert. Es sei erfreulich, dass das Thema Nahverkehrs-Finanzierung durch die Diskussion in den Blickpunkt rücke, so Sprecher Jürgen Fergg. Die Stadtwerke waren zuletzt wegen der seit 1. Januar geltenden Tarifreform in die Kritik geraten. Ein Teil der Gelegenheitsfahrgäste zahlt jetzt doppelt so viel wie vorher, das 9-Uhr-Abo wurde dafür günstiger. Eine politische Vorgabe war, dass die Tarifreform die Defizite nicht vergrößern dürfe. Es müsse klar sein, dass die Verkehrsunternehmen einen Gratis-Verkehr aus eigenen Mitteln nicht stemmen könnten, so Fergg.
In Augsburg, wo die Stadtwerke jährlich rund 60 Millionen Fahrgäste transportieren, kostet der Betrieb von Bussen und Straßenbahnen um die 100 Millionen Euro pro Jahr. 48 Millionen Euro kommen durch Ticketverkäufe wieder herein, weitere zehn Millionen Euro durch staatliche Erstattungen für die Beförderung von Schülern und Schwerbehinderten sowie durch Werbung auf den Fahrzeugen. Um die übrigen 40 Millionen Euro, die für ein ausgeglichenes Ergebnis nötig sind, zusammenzubekommen, ist die ertragreiche Stadtwerke-Energiesparte nötig. Deren Gewinne können steuerlich mit den Verlusten des Nahverkehrs gegengerechnet werden. Diese Rechnung geht seit Jahren auf – aus dem städtischen Haushalt muss für den Betrieb von Bus und Tram nichts zugeschossen werden.
Doch für den Fall eines Gratis-Nahverkehrs würde die bisherige Kalkulation nicht mehr stimmen. Denn eine höhere Nachfrage, die ja auch Sinn der ganzen Aktion wäre, würde besonders in den Hauptverkehrszeiten für höhere Betriebskosten sorgen. In der Morgenspitze, wenn Schüler und Berufstätige gleichzeitig unterwegs sind, sind Busse und Bahnen jetzt schon knallvoll – also müssten zusätzliche Kapazitäten her.
Eine Umsetzung in kleineren Schritten sei eine Idee
„Wenn man den Schritt zu einem Gratis-ÖPNV gehen wollen würde, müsste man vorher die Voraussetzungen schaffen: neue Linien, mehr Fahrzeuge und das dafür nötige Personal. Das kostet alles Geld, das zu den momentanen Kosten dazukommt“, so Fergg. Der Idee, die Nahverkehrsfinanzierung anders aufzustellen, verschließe man sich aber keineswegs. Eine Umsetzung in kleineren Schritten sei eine Idee. „Das 30-Euro-Abo kann man rund um die Uhr anbieten statt nur ab 9 Uhr – wenn es eine Gegenfinanzierung gibt.“ Billig wäre aber auch diese Beinahe-Gratis-Form des Nahverkehrs (ein Euro Kosten pro Tag) nicht. Fürs ganze AVV-Gebiet gäbe es Einnahmenverluste von 20 Millionen Euro jährlich, rechnete ein Gutachter im Kreistag von Aichach-Friedberg im vergangenen Herbst vor, wo die dortigen Grünen einen entsprechenden Antrag gestellt hatten.
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Auch Winfried Karg, Sprecher von Pro Bahn in Augsburg, sieht das Thema Gratis-Nahverkehr differenziert. „Die Idee mit dem Gratis-Nahverkehr hört sich erst mal gut an. Aber das Motto ,Einfach nur billig‘ hat einen Haken, wenn die Kapazitäten oder die Qualität nicht stimmen.“ Für die Entscheidung von Bürgern, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, sei nicht allein der Preis entscheidend, gibt er zu bedenken. Augsburg habe für eine Stadt seiner Größe unter anderem mit dem Fünf-Minuten-Takt einen recht guten Nahverkehr. Momentan sprudelten die öffentlichen Einnahmen, aber im Falle eines Konjunktureinbruchs werde bei einer steuerbasierten Finanzierung wohl massiv am Angebot gekürzt, so Kargs Befürchtung. Unabhängig davon müsse man bei einem Gratis-Angebot zusehen, ein Verkehrskonzept aus einem Guss zu bekommen. Wenn man Autofahrer zum Umsteigen motivieren wolle, müsse man neben einer Attraktivierung des Nahverkehrs auch darüber nachdenken, das Autofahren durch Parkplatz-Verknappung oder Steuern unattraktiver zu machen, so Karg.
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