Während der Hyperinflation 1923 wurden die Ersparnisse der Deutschen förmlich pulverisiert und es kam zu einer rapiden Geldentwertung. Im Dezember des Jahres kostete ein Ei mehrere Milliarden Mark. Der Historiker Andreas Wirsching ist ein Experte für Neuere und Neueste Geschichte und hat im Rahmen einer IHK-Veranstaltung in Augsburg einen Vortrag über die Hyperinflation gehalten. Im Interview mit derAugsburger Allgemeinen erklärt er unter anderem, dass die Angst der Deutschen vor der Geldentwertung begründet ist.
Die Hyperinflation von 1923 liegt lange zurück. Warum hat sie sich so tief in das Gedächtnis der Deutschen eingebrannt?
Wirsching: Das Ereignis der Hyperinflation ist in der Neuzeit außergewöhnlich. Die Welt ist innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf gestellt worden. Das brennt sich entsprechend stark in das kollektive Gedächtnis ein. Zudem wurden die Deutschen auch durch die Währungsreform von 1948 und die innerdeutsche Währungsunion von 1990 geprägt. Zwar ist die Situation mit der Wiedervereinigung in diesem Zusammenhang nicht ganz vergleichbar, aber man muss sagen: Drei Währungsschnitte haben die Erinnerung fortgesetzt, und zwar bis weit in die Nachkriegszeit.
Ist es übertrieben, von einer Urangst der Deutschen zu sprechen?
Wirsching: Ein ganz tief eingewurzeltes Empfinden der Deutschen ist: bloß keine Inflation. Das kann man Urangst nennen. Es ist vielleicht ein für unsere heutige Debatte sehr starkes Wort, aber es hat mit der Erfahrung der Deutschen zu tun.
Kann man die Situation von damals überhaupt auf heute übertragen?
Wirsching: Ich glaube nicht wirklich. Die historische Situation von 1923 ist einzigartig und hat sich aus der Kriegsfinanzierung des Ersten Weltkriegs ergeben. Was wir heute haben, hat nichts mit Kriegsfinanzierung zu tun, sondern es handelt sich um eine Überschuldung von Demokratien. Ein Großteil des heutigen Geldüberhangs geht in den Konsumbereich. Es sind also andere gesamtwirtschaftliche Verhältnisse. Zudem sind im Augenblick die Staatsverschuldungen nicht so drastisch wie die des Deutschen Reiches im Jahre 1922. Also muss man sich vor vorschnellen Generalisierungen hüten, wenngleich die Geldmengenvermehrung eine Parallele ist.
Ist die Angst der Deutschen vor der Inflation also begründet?
Wirsching: Ich würde schon sagen, dass sie begründet ist. Die Geldmengenausweitung ist real. Dass die Deutschen da ganz besonders allergisch drauf reagieren, hängt mit der Erfahrung zusammen. Sie finden kein Land in Europa, wo innerhalb einer Generation, also 1923 und 1948, zweimal eine Währung verschwindet und man gewissermaßen wieder bei null anfängt. Wobei das nur die Barvermögensbesitzer betraf. Bei den Sachwerten ist das anders.
Es heißt oft, Verlierer der Hyperinflation waren die Sparer, die über Geldvermögen verfügten, also vor allem die Mittelschicht. Industrielle und Menschen, die Sachwerte wie Grundstücke hatten, profitierten dagegen. Stimmt das?
Der Weg vom nationalen Geld zur gemeinsamen Währung in Europa
Seit 2002 ist der Euro offizielles Zahlungsmittel. In Deutschland hatte der Euro vom Start weg bei den Menschen einen schwierigen Stand, rasch machte das Wort «Teuro» die Runde. Die wichtigsten Etappen auf dem bisherigen Weg zum Euro als EU-Gemeinschaftswährung:
1. Juli 1987: Das Ziel Währungsunion wird im EG-Vertrag verankert.
7. Februar 1992: Unterzeichnung des EU-Vertrages von Maastricht, der die Währungsunion bis 1999 vorsieht und Beitrittskriterien festlegt.
1. November 1993: Ratifizierung des Maastricht-Vertrages. Aus den Europäischen Gemeinschaften (EG) wird die Europäische Union (EU).
Dezember 1995: Als Einheiten der neuen Währung werden Euro und Cent festgelegt.
16./17. Juni 1997: Verabschiedung des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Amsterdam. Einigung auf die «europäische Seite» für die Münzen.
25. März 1998: Die EU-Kommission und das Europäische Währungsinstitut (EWI), Vorläufer der Europäischen Zentralbank (EZB) empfehlen elf Länder für den Start der Währungsunion. Außen vor bleiben aus freien Stücken Großbritannien, Dänemark, Schweden sowie Griechenland, das die Kriterien noch nicht erfüllt.
1. bis 3. Mai 1998: Ein Sondergipfel der EU-Gremien gibt in Brüssel grünes Licht für den Euro. Die Staats- und Regierungschefs bestimmen den 1. Januar 1999 als Start der Währungsunion.
31. Dezember 1998: Die Wirtschafts- und Finanzminister der EU legen den Umrechnungskurs des Euro zu den elf Teilnehmerwährungen endgültig fest. Danach ist ein Euro 1,95583 D-Mark wert.
1. Januar 1999: Der Euro wird gemeinsame Währung der elf Länder. In Euro bezahlt werden kann per Scheck, Kredit- oder EC-Karte. Das alte nationale Geld bleibt noch das allein gültige Zahlungsmittel.
4. Januar 1999: Die Finanzmärkte nehmen den Handel mit Euro auf.
Juli 1999: Die Herstellung des neuen Bargelds läuft an.
1. Januar 2001: Griechenland wird nach Erfüllung der Beitrittskriterien zwölftes Euroland-Mitglied - allerdings mit frisierten Haushaltszahlen, wie sich später herausstellt.
1. September 2001: Beginn der Ausgabe von Noten und Münzen an Banken und Handel.
1. Januar 2002: Der Euro wird gesetzliches Zahlungsmittel.
1. März 2002: Die D-Mark verliert ihre Gültigkeit, kann aber weiterhin gegen Euro eingetauscht werden.
1. Mai 2004: Zehn Länder in Mittel- und Osteuropa sowie im Mittelmeerraum werden neue EU-Mitglieder. Sie müssen die Gemeinschaftswährung übernehmen, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen.
1. Januar 2007: Als erster der neuen EU-Staaten wird Slowenien 13. Mitgliedsland der Euro-Zone. Ein Beitrittsgesuch Litauens wird hingegen von der EU-Kommission wegen überhöhter Inflation abgelehnt.
1. Januar 2008: Malta und die Republik Zypern führen den Euro ein.
1. Januar 2009: Die Slowakei führt den Euro ein.
Frühjahr 2010: Griechenland kommt in immer größere Finanznöte und muss als erstes Euroland Milliardenhilfen beantragen. Damit nimmt eine Schuldenkrise ihren Lauf, die sich trotz neuer Milliarden-Hilfspakete auch für Irland und Portugal bis Ende 2011 dramatisch verschärft.
1. Januar 2011: Zum Auftakt des schlimmsten Krisenjahres führt Estland den Euro ein - als erste frühere Sowjetrepublik. Damit leben gut 330 Millionen Menschen im Euro-Raum mit 17 Mitgliedsländern.
Wirsching: Zu sagen, das deutsche Volk sei verarmt, ist falsch. Die Arbeiterschicht etwa besaß kein Vermögen. Da war eine Lohnabhängigkeit, die 1923 zum Problem wurde, weil sie morgens einen Tageslohn bekommen haben, der schon zwei Stunden später nichts mehr wert war. Beim Mittelstand gab es eine Polarisierung zwischen denen, die Sachwerte hatten, besonders Hausbesitz, und denen, die rein abhängig waren von Kapitalerträgen, zum Beispiel Sparvermögen. Das waren überwiegend Leute aus der Mittelschicht, aber nicht der Mittelstand insgesamt.
Gab es denn auch Profiteure?
Wirsching: Natürlich gab es die. Um genau zu sein, drei Gruppen. Die erste waren die Sachwertbesitzer. Die zweite Gruppe waren die Industriellen, die exportorientiert arbeiteten. Sie konnten zu Hause mit wertlosem Papiergeld produzieren und im Ausland gegen wertvolle Devisen verkaufen. Dabei sprechen wir aber von einer Phase bis zum Frühjahr 1923. Danach ging alles drunter und drüber. Da gab es kaum noch Profiteure. Es sei denn, und das war die dritte Gruppe, Menschen, die an der Börse mit den Währungsturbulenzen spekulierten und damit Gewinne machten.
Zeitgenossen sagen, dass nicht nur die Preise außer Kontrolle gerieten, sondern auch die Gesellschaft. Es kam zu einem moralischen Verfall. Ist das auch ihre Beobachtung?
Wirsching: Der Begriff des moralischen Verfalls wäre zu pauschal. Allerdings galt für eine kurze Zeit im Bereich der Werte und im Bereich der gesellschaftlichen Konventionen plötzlich nicht mehr das, was in der Vergangenheit gegolten hatte. Dazu gehört der klassisch bürgerliche Maßstab des Sparens oder Maßhaltens. Das sind tief reichende, im 19. Jahrhundert wurzelnde Tugenden. Die wurden nun in der Hyperinflation plötzlich abgestellt. Zudem gab es Profiteure, die plötzlich ganz viel Geld hatten und das auch raushängen ließen. Das prägte sich tief in das moralische Gedächtnis der Zeit ein.
Auch wenn Sie empfehlen, keine Parallelen zu ziehen, kann die heutige Regierung aus der Situation von damals lernen?
Wirsching: Zunächst muss ich sagen: Man hat nach 1945 wahrscheinlich so viel aus der Geschichte gelernt wie kaum jemals zuvor. Das Grundgesetz ist eine Anti-Weimar-Verfassung und das Statut der Bundesbank mit dieser absoluten Verpflichtung auf die Geldwertstabilität ist auch eine Folge des Lernens aus Weimar. Heutzutage stehen wir vor einer Situation, für die es absolut keine Vorbilder gibt. Friedenszeiten mit so einem ausgebauten Sozialstaat; die Globalisierung, durch die der internationale Wettbewerbsdruck stärker geworden ist; und dann noch eine gemeinsame Währung wie den Euro. Das ist eine historisch völlig neue Situation.