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Buchprojekt: Das wahre Leben im fremden Land

Buchprojekt

Das wahre Leben im fremden Land

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    Sebastian Seidel
    Sebastian Seidel

    Man kann sich die Situation gut vorstellen, kennt man die Bilder doch hinlänglich aus den Nachrichten: Mehrere Herren sitzen sich an einem langen Tisch gegenüber, es wird freundlich gelächelt, Höflichkeitsfloskeln werden ausgetauscht und eifrig von Dolmetschern übersetzt. So ist es, wenn die Delegationen verschiedener Länder zusammenkommen.

    Die beiden Augsburger Autoren Andreas Nohl und Sebastian Seidel haben dies im vergangenen Jahr selbst erlebt, als sie die chinesische Partnerstadt Augsburgs, Jinan, besuchten und dort chinesische Schriftstellerkollegen trafen. „Wir haben uns nett unterhalten, über die Lage der Schriftsteller gesprochen, über Publikationsmöglichkeiten, sogar über Zensur, aber über die Literatur selbst, wie sie schreiben, was ihnen wichtig ist, haben wir nicht geredet“, erzählt Seidel. Zwar stünden in seinem Buchregal nun einige chinesische Bände, die er als Geschenke mit nach Hause gebracht hat, doch wirklich näher bringen ihm diese die chinesische Literatur nicht.

    Deshalb kamen Nohl und Seidel auf die Idee, eine Anthologie herauszugeben mit den (übersetzten) Texten chinesischer Schriftsteller aus Jinan und denen deutscher Schriftsteller, die in Augsburg leben. „Wenn man immer nur über Handel und wirtschaftlichen Austausch spricht, bleibt die Partnerschaft eine kalte Sache“, findet Andreas Nohl. In der Literatur dagegen vermittle sich über die geschäftsmäßigen Beziehungen hinaus die tatsächliche Lebenswelt der Menschen in einem fremden Land, deren Haltung und Gefühle. „Wir wollen den Austausch unterfüttern mit emotionaler und psychologischer Tiefe.“

    „Tales of two Cities“ heißt das Buch, das jetzt im Maro Verlag erschienen ist, im Juni auf Chinesisch in Jinan herauskommen soll und die Texte von jeweils sieben chinesischen und deutschen Autoren enthält. Lydia Daher, Peter Dempf, Viktor Glass, Eva Leipprand, Andreas Nohl, Sebastian Seidel und Thomas von Steinaecker sind von deutscher Seite vertreten. Entscheidend bei der Auswahl der Autoren war ihr Renommee über die Stadt hinaus und die Tatsache, dass mit diesen Schriftstellern verschiedenartige Textgattungen zusammenkommen: Gedichte, Romanauszüge, ein Theaterstück, Erzählungen. „Wichtig war uns auch, dass sich darin klare Bezüge zu Deutschland oder sogar Augsburg vermitteln“, erläutert Andreas Nohl und nennt Eva Leipprands Erzählung zu Weihnachten oder Peter Dempfs Auszug aus seinem Mozartroman als Beispiele dafür.

    Auch die chinesischen Texte spiegeln die dortige Realität, berichten von den Problemen der Menschen im Alltag, erzählen vom Verhältnis der Generationen untereinander. Und die Zensur? „Solange man das System nicht grundsätzlich infrage stellt, gibt es keine Schwierigkeiten“, haben Nohl und Seidel erfahren. „Die bekommen von der Partei nicht vorgeschrieben, was sie schreiben sollen.“

    Viele der chinesischen Texte, die der Münchner Übersetzer Frank Meinshausen ins Deutsche übertragen hat, sind eher besinnlich und nachdenklich gehalten, oft ist auch zu spüren, welch großer Einschnitt die Kulturrevolution Maos in den 1960er und 70er Jahren bedeutete, als alle kulturellen Errungenschaften und Traditionen infrage gestellt wurden. „Man spürt förmlich, wie sie sich ihrer kulturellen Identität wieder selbst vergewissern müssen“, sagt Andreas Nohl. Vor allem aber liest er aus den Prosatexten der chinesischen Kollegen eine „außergewöhnliche Liebesbereitschaft geistigen Dingen gegenüber.“

    Der literarische Sammelband „Tales of two Cities“ wird am heutigen Freitag, 30. Mai, um 19.30 Uhr im Sensemble-Theater vorgestellt.

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