Augsburger Hebamme: "Die Bezahlung ist zu niedrig"
Die Augsburger Hebamme Anne Tschauner half bereits über 2000 Kindern auf die Welt. Doch von der Geburtshilfe hat sie sich verabschiedet – wie viele ihrer Kolleginnen.
Anne Tschauner, 39, ist gelernte Hebamme. Die Mutter von zwei Kindern leitet in Augsburg ihre Praxis Kinderreich - bietet aber keine Geburtshilfe mehr an. Im Interview kritisiert sie die Bezahlung und die Arbeitbedingungen bei ihrem Beruf.
Frau Tschauner, Hebamme gilt als einer der schönsten Berufe. Sie üben ihn seit über 17 Jahren aus, doch Geburtshilfe bieten Sie nicht mehr an. Warum?
Anne Tschauner: Hebamme ist der schönste Beruf der Welt und ich liebe meinen Beruf. 13 Jahre lang habe ich auch als Geburtshelferin gearbeitet. Vor etwa fünf Jahren sank allerdings die Zahl der Geburten. Wir waren damals fünf Hebammen in einem kleinen Krankenhaus in Krumbach. Wir arbeiteten alle freiberuflich. Weil es aber immer weniger Geburten gab, rechnete sich unsere Tätigkeit nicht mehr. Ich eröffnete dann im Jahr 2012 meine eigene Praxis in Augsburg, das Kinderreich. Doch da ich selbst Mutter von zwei Töchtern wurde, konnte ich nicht mehr nachts im Kreißsaal stehen und tagsüber die Mütter betreuen. Ich entschied mich dann ganz für meine Praxis, in der ich viele Kurse zur Geburtsvorbereitung und Nachsorge anbiete.
Seit ein paar Jahren steigt aber ja wieder die Zahl der Geburten. Hebammen werden händeringend gesucht.
Tschauner: Ich weiß. Der Mangel wird immer größer. In meiner Praxis könnte ich sofort mehrere Hebammen einstellen, aber ich finde niemanden.
Ist der Rückzug so vieler Hebammen vor allem in den stark gestiegenen Haftpflichtversicherungsprämien zu suchen?
Tschauner: Ja, sie sind eine große Belastung. Sehen Sie, die verpflichtende Berufshaftpflicht kostet mittlerweile fast 7000 Euro im Jahr. Da müssen Sie erst einmal 14000 Euro verdienen, um sich die Versicherung leisten zu können. Manche Kliniken versuchen zwar mittlerweile, die Versicherungen für ihre Hebammen zu übernehmen, aber das sind noch zu wenige. Darüber hinaus wurden vor einigen Jahren, als die Geburtenzahlen sanken, viele Hebammenschulen geschlossen. Das heißt, es wurde zu wenig ausgebildet. Heute sieht man, wie kurzsichtig das war. Wir bräuchten daher mehr Ausbildungsplätze.
Ist in der Region der Hebammenmangel auch spürbar?
Tschauner: Ja, sehr. Immer mehr Frauen finden keine Hebamme mehr. Sie müssen sich bis zur 14. Woche melden, ansonsten haben sie niemanden. Wir werden ständig kontaktiert und müssen leider viele Frauen ablehnen, weil wir einfach nicht mehr als arbeiten können.
Die familienfeindlichen Arbeitszeiten gelten auch als Hindernis, schließlich haben viele Hebammen wie Sie selbst Kinder.
Tschauner: Eine Hebamme arbeitet oft 50 bis 80 Stunden in der Woche. An Feiertagen ebenso wie nachts. Die 24-stündige Rufbereitschaft ist sehr belastend gerade für Frauen, die selbst Familie haben. Es hat sich nicht ohne Grund gezeigt, dass die Burn-out-Rate bei Hebammen extrem hoch ist. Es ist schließlich ein ausgesprochen verantwortungsvoller und fordernder Beruf. Viele Frauen können einfach nicht mehr. Sie brauchen eine Auszeit oder reduzieren drastisch ihre Dienste aus gesundheitlichen Gründen. Außerdem ist auch der Druck von anderer Seite extrem gestiegen: Durch Mail sowie soziale Medien wird noch intensiver eine ständige Erreichbarkeit eingefordert. Viele Frauen beklagen sich, wenn sie nicht sofort Antwort erhalten. Das ist aber nicht zu leisten.
Viele Hebammen haben sich zur Familienhebamme weitergebildet. Ist dies ein Weg, der finanziell sicherer ist?
Tschauner: Nein, sicher nicht. Denn gerade die Betreuung von Familien erfordert sehr viel Zeit sowie Engagement, und Hebammen werden in der Regel pauschal bezahlt. Das ist ein weiteres Problem: Die Bezahlung ist zu niedrig. Ich bekomme beispielsweise für einen Hausbesuch zirka 28 Euro brutto – unabhängig davon, ob die Frau eine halbe Stunde, eine Stunde oder länger Hilfe benötigt. Hinzu kommen die Fahrzeiten: Ich bewältige jeden Tag 50 bis 100 Kilometer.
Können Sie jungen Frauen eigentlich empfehlen, Hebamme zu werden?
Tschauner: Wie gesagt, es ist der schönste Beruf der Welt. Aber es ist kein familienfreundlicher Beruf, schon gar nicht, wenn man seine Brötchen damit verdienen muss. Und er erfordert viel Leidenschaft.
Was müsste sich ändern, damit der Beruf attraktiver wird? Ist ein Fonds, wie ihn der Hebammenverband Deutschland als Weg für die gestiegenen Haftpflichtprämien vorschlägt, Ihrer Meinung nach eine Lösung?
Tschauner: Ja, das wäre sicher eine Lösung. Hier müsste auch der Staat mit einsteigen. Die Prämien steigen ja nicht, weil mehr Fehler bei der Geburt passieren, im Gegenteil. Aber schwere Komplikationen ziehen heute oft enorme Summen nach sich. Auch scheint es, dass heute anders als früher bei Komplikationen immer ein Schuldiger gesucht und gefunden werden muss. Daher werden so viel mehr Gynäkologen und Hebammen verklagt. Die Klagebereitschaft der Kassen, aber auch der Eltern hat sehr zugenommen. Dabei gibt es ganz oft gar keinen Schuldigen.
Können Sie sich vorstellen, wieder Geburtshilfe anzubieten?
Tschauner: Ja, das kann ich. Wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Denn mir fehlt meine Arbeit im Kreißsaal oft sehr. Interview: Daniela Hungbaur
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