Ein persönliches Wort der Reue? Nein. Schuldeinsicht? Fehlanzeige. Der Angeklagte machte vor Gericht alles andere „als eine gute Figur“. Kurz gefasst: Vorsitzender Richter Lenart Hoesch hat sich von einem „katholischen Priester etwas anderes erwartet“. Eine Haftstrafe ohne Bewährung für den sexuellen Missbrauch von Ministranten sei in diesem Fall gerechtfertigt, auch wenn die Taten lange zurückliegen, sagt Hoesch. Doch die konnte die Jugendkammer am Landgericht Augsburg nicht mehr verhängen.
Der Gang des früheren Pfarrers von Schiltberg in die zweite Instanz änderte damit nichts an seiner Strafe, aber an seiner „finanziellen“ Bewährungsauflage: Der 66-Jährige ist jetzt rechtskräftig verurteilt zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, die weiter zur Bewährung ausgesetzt ist. Die Jugendkammer bestätigte in einer kurzfristig anberaumten Berufungsverhandlung in dieser Woche das Urteil des Aichacher Jugendschöffengerichts (wir berichteten).
Die dort Ende November verhängte Bewährungsauflage kassierte das Augsburger Gericht dagegen. Der Ex-Pfarrer sollte 13 seiner längst erwachsenen Opfer jeweils 5000 Euro zahlen – auch an Geschädigte aus verjährten Vorfällen. Dies erachtete die Jugendkammer als „unvertretbar und so nicht regelbar“, erklärte Hoesch auf AN-Anfrage und beschloss eine Geldstrafe von 5000 Euro zugunsten der Fritz-Felsenstein-Schule in Königsbrunn. Der Opferausgleich müsse zivilrechtlich geklärt werden, so Hoesch. Die Kirche hat im Zuge der im vergangenen Jahr bekannt gewordenen Missbrauchsfälle Regelungen dazu getroffen. Abgesehen davon hätte der frühere Pfarrer mit 2500 Euro Rente dieses Schmerzensgeld (insgesamt 65000 Euro) nicht bezahlen können, verweist der Richter. Wer seine Bewährungsauflagen nicht erfüllt, muss seine Haftstrafe antreten.
Der Priester war in Aichach für die „Spitze des Eisbergs“ verurteilt worden: Für fünf angeklagte Taten an sieben Buben (damals acht bis zwölf Jahre alt) zwischen 1994 und seiner „plötzlichen und freiwilligen“ Abberufung, so die Diözese Augsburg, im Jahr 1999. Eine „Vielzahl von schlimmeren Straftaten“ (Staatsanwalt Franz Wörz) des Ex-Pfarrers in den Jahren zuvor, die vor Gericht als schwerer sexueller Missbrauch bewertet wurden, blieben dagegen ungeahndet – sie sind verjährt. Das Jugendschöffengericht in Aichach blieb damit deutlich über dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die in einem Strafbefehl zunächst ein Jahr auf Bewährung gefordert hatte. Richter Dieter Gockel war das zu wenig und setzte eine Verhandlung an. Weil der Ex-Pfarrer die Taten zugab und seinen Opfern so eine Aussage vor Gericht ersparte, wurde die Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Bei einer „streitigen Verhandlung“ wäre das nicht möglich gewesen, sagte Gockel damals in seiner Urteilsbegründung.
Gegen dieses Urteil hat nur die Verteidigung Berufung eingelegt, die Staatsanwaltschaft aber nicht. Damit gilt das sogenannte Verschlechterungsverbot. Das heißt: Die zweite Instanz kann die Strafe maximal bestätigen, aber nicht erhöhen. Das wäre aus Sicht von Vorsitzendem Richter Hoesch durchaus gerechtfertigt gewesen. Vor allem, weil der Ex-Pfarrer in der Verhandlung vor der Jugendkammer „keinerlei Schuldeinsicht“ gezeigt habe, sich in seinem Schlusswort „endlich Ruhe vor der Justiz“ wünschte und lediglich der Anwalt für seinen Mandanten die Taten eingeräumt habe. Zeugen wurden nicht mehr vernommen, es ging in der Berufung nur um das Strafmaß.
Über 20 Jahre war der Angeklagte Pfarrer in der Gemeinde im östlichen Landkreis. Er missbrauchte ihm anvertraute Buben beim Ministrantenausflug in Südtirol und im Hallenbad. So legte er sich zum Beispiel in einem Gasthof nackt zu den ebenfalls unbekleideten Buben in ein Doppelbett und manipulierte an deren Geschlechtsteilen, um „sich sexuell zu erregen“. Der damalige Rektor der Grundschule schenkte 1999 den Hinweisen einiger seiner Schüler Glauben und informierte das Schulamt. Die verständigte Diözese zog zwar Konsequenzen, aber nur mit einer internen Versetzung – eine neue Aufgabe ohne Kontakt zu Kindern. Der frühere Personalreferent wies damals gegenüber unserer Zeitung und anderen Medien die Missbrauchsvorwürfe, über die Gerüchte im Dorf kursierten, nachdrücklich zurück.
Die strafrechtlichen Ermittlungen kamen erst im Frühjahr 2010 ins Rollen, als immer mehr Missbrauchsfälle in der Kirche bekannt wurden. Auf eine konkrete Anfrage der Aichacher Nachrichten im März reagierte die Diözese Augsburg drei Tage später mit einem öffentlich gemachten Ultimatum und zwang den Priester zur Selbstanzeige.